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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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und Lösungsmittel. So etwas habe ich ab und zu in Addeh Katir gerochen, wenn die Pioniere kamen. Davor in der Waffenkammer des Projekt Albumen. Mit den Augen verfolge ich den Faden bis zur Wand. Er ist mit einem winzigen Tropfen durchsichtigen Klebstoffs am Putz befestigt. Na schön. Auf der anderen Seite verschwindet er in einer Vase mit Weidenkätzchen. Sehr authentisch, nur dass Spinnen keinen Klebstoff in kleinen Tuben mit sich herumtragen. Sie können ihn schließlich selbst herstellen. Ich betrachte es aus der Nähe. Ja, unter den Weidenkätzchen zeichnet sich in der Vase ein Umriss ab, ein Schild wie diese »Betreten verboten«-Schilder auf vornehmen Rasenflächen. Auf diesem hier steht allerdings: »Vorderseite zum Feind drehen«. Die Buchstaben sind auf die grüngraue Metallkiste gemeißelt oder geprägt. Auf der anderen Seite (das sehe ich nicht, weiß es aber) steht eine ähnlich sinnvolle Anweisung: »Rückseite – andere Seite nach vorn«. Wenn der Spinnwebfaden zerrissen wird, fällt in dem Gerät ein Schalter, und die Ladung explodiert. Die Hülle verwandelt sich in Granatsplitter, und jeder in einem bestimmten Umkreis verwandelt sich in Ragout, nur dass die Teile, die zum Kopf gehörten, eher an kleine Shrimps erinnern. Immer wenn ich so ein Ding sehe, stelle ich mir vor, wie es sein muss, wenn der Apparat explodiert und diese idiotischen Worte durch mich hindurchfliegen – getötet von der New Times Roman.
    Irgendwo gibt es ein Schlüsselloch, in das man einen Schlüssel stecken und das Ding entschärfen kann. Ich habe aber keinen Schlüssel. Andererseits – eine Sprengfalle in einem Bürogebäude. Ich bin am richtigen Ort.
    Ich betrachte den Auslösedraht. Er ist sehr dünn, und es gibt nur einen. Dann mustere ich den Teppich. Kein Druckauslöser. Nun gut. Tief Luft holen, ein und aus. Ich steige über den Faden. Ich sterbe nicht. Dann trete ich durch die Tür.
    Dieser Raum ist kein Sitzungszimmer, oder er ist nicht nur ein Sitzungszimmer. Sitzungszimmer sollen dem Betrachter zeigen, wie wichtig man ist. Dies hier ist eine Einsatzzentrale. Hier werden wichtige Dinge erledigt. An den Wänden hängen Karten und Grafiken. Da wäre beispielsweise eine Skizze der ursprünglichen Firma: ein Baumdiagramm der Jorgmund Company. Ganz oben befindet sich der Zentralausschuss in einer Blase. Von dort aus werden der Leitungsausschuss und seine Unterausschüsse gesteuert, dann die verzweigte Verwaltung mit ihren zahlreichen Gruppen und Spezialisten und ganz links außen die Uhrwerksgilde, die dem Rest gleichgestellt, aber von ihm getrennt ist. Es gibt nur eine kleine, mit »H.P.« gekennzeichnete Überlappung. Unter der Uhrwerksgilde ist nichts weiter. Sie ist sich selbst genug. Rings um den Baum belegen verschiedene Darstellungen, wie wichtig all die Ausschüsse für das Wohlergehen der Firma (und somit für die ganze Welt) sind. Geleitet werden sie natürlich von ungeheuer fähigen Leuten, die im Grunde genommen unersetzlich sind. (Offenbar halten es die Ninjas nicht für nötig, Berichte einzureichen. Das ist nur vernünftig. Wenn man einen Gegner mit einer Büroklammer töten und ihm mit bloßen Fingern unerträgliche Schmerzen zufügen kann, wird es in der firmeninternen Hierarchie nicht viele geben, die glauben, sie könnten diesen Job besser erledigen.)
    Die Grafiken sind frisch laminiert und mit Markierungen angereichert, die zeigen, dass noch spektakulärere Profite und Leistungen möglich sind. Rücksichtslos wurden Heftzwecken durch die Blätter ins weiche Holz gerammt. Über die Grafiken sind Kurven gezeichnet – vorhergesagter und tatsächlicher Profit, Ziele, Bedürfnisse, Neuerwerbungen, Kosten.
    Und Feinde.
    Auf einem gläsernen Sockel sind in der Mitte des Raumes die Feinde ausgestellt. Ein grobkörniges Bild von Meister Wu. In einer Hand hält er eine Teetasse, alt und traurig wirkt er. Die andere Hand ist nicht mehr im Bild, aber ich vermute, sie hält einen Apfelkuchen. Jemand hat mit Filzstift ein rotes X über sein Gesicht gemalt. Sie haben rechts oben begonnen, gleich über dem Ohr, und dann in sein Kinn gestochen und schließlich auf Augen und Nase gedrückt. Der Schreiber war Linkshänder, der zweite Strich beginnt links oben und reicht nach rechts unten. Ein zorniges, rachsüchtiges Symbol. Die Stelle, wo sich die Striche kreuzen, ist fast schwarz. Am Ende des zweiten Strichs gibt es einen kleinen Kringel, als hätte der Urheber gezittert. Oder als sei er ungeschickt gewesen. Oder

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