Die gelöschte Welt
Grundstein für sein Reich gelegt. Alles war gut, bis Jorgmund wuchs und Humbert Pistill nach neuen Bobby Shanks Ausschau halten musste. Das war schwieriger, als es sich anhörte. Mit Bobby Shank waren ganz bestimmte und sehr eigenartige Dinge geschehen. Humbert musste sich mit Näherungswerten begnügen.
Er fand eine Frau in Bridgeport, die seit zwanzig Jahren im Koma lag. Sie war nutzlos. Ihr Gehirn tat überhaupt nichts mehr.
Er fand einen Burschen aus Belfistry, der sich das Genick gebrochen hatte. Das war eine Katastrophe. Der Junge erzeugte Monster, Huris und schreckliche Riesenschnecken. Sie flackerten, tobten und verschwanden wieder. Sein Geist bot ein großes Durcheinander.
Er fand einen älteren Mann aus dem Punjab, der an irgendeiner Krankheit litt. Dieser Mann war so lange recht vielversprechend, bis Blut aus seiner Nase floss. Dann starb er. Humbert Pistill musste sich weiter umsehen, aber wohin er auch immer schaute, er konnte keinen zweiten Bobby Shank finden. Also blickte er in sein Herz und lauschte der Musik. Und dann wusste er, was er zu tun hatte. Er musste Leute wie Bobby Shank erschaffen. Immerhin ging es um die Zukunft der ganzen Menschheit.
Zuerst benutzte er Banditen. Davon gab es viele – gewöhnliche Leute, die wild und wütend geworden waren und die anderen überfielen. Sie lebten wie Ruth Kemner und ihre Bande in grässlichen Hallen, die nach Hinrichtungen und verschüttetem Bier rochen. Er bekam fünfzehn Exemplare dieser Sorte. Einige sperrte er einfach ein, bis sich ihr EEG nicht mehr von Bobbys Werten unterschied. Anderen setzte er mit scharfen, unschönen Werkzeugen zu. Anders als Bobby hielten sie nicht lange durch, aber sie funktionierten. Sie produzierten. Leider jedoch nicht schnell genug. Die neuen Städte entstanden schneller, als er seine Produktion steigern konnte.
So ging er mit der ganzen Uhrwerksgilde zum Heyerdahl Point. Danach hieß der Ort Drowned Cross.
Er nahm die Einwohner von Drowned Cross und bearbeitete sie, bis er fünfhundert Bobby Shanks in ebenso vielen schwarzen Kisten hatte, die mit Schläuchen verbunden waren. Auch sie machten es nicht sehr lange, aber es reichte aus. Als sie verbraucht waren, kassierte er den nächsten Ort und dann noch einen weiteren. Erst vor kurzer Zeit hatte er Templeton eingenommen. Bald würde er den nächsten Ort einsacken. So rettet Jorgmund die Welt. Die Firma benutzt die Menschen, verfüttert die Prinzessin an den Drachen.
All das erzähle ich ihnen, und dann sage ich, dass ich das unterbinden will. Ich weiß zwar nicht, wie ich das ohne sie alle tun könnte, aber ich will es tun, weil mir Gonzo und der Bey wichtig sind. Und außerdem die vielen armen, zerstörten Menschen in den Kisten. Es ist mir egal, ob ich ein Monster bin, solange ich nur das Gegenteil von dem bin, was sie sind. Ich werde nicht untätig zuschauen. Nein, ganz sicher nicht.
Mir tut die Hand weh, weil ich die Faust auf die Theke geschlagen habe, um meine Worte zu unterstreichen. Daran kann ich mich gar nicht erinnern. Ich betrachte die Hand, weil sie pocht. Dann hebe ich den Blick und sehe die Gesichter vor mir. Keiner sagt etwas. Mein Gott. Ich habe es vermasselt. Sie halten mich für vollkommen verrückt, sie verachten mich, jetzt ist alles im Eimer. Tut mir leid, Leute. Ich habe Mist gebaut.
Ronnie Cheung hebt eine Hand bis in Schulterhöhe und klatscht sie fest auf den Tisch, neben dem er steht. Der Aschenbecher macht einen Satz. Er hebt noch einmal die Hand und lässt sie wieder heruntersausen. Ike Thermite folgt seinem Beispiel, dann Elisabeth, dann Leah und dann auch Jim, Sally und Tobemory Trent. Baptiste Vasille schüttelt die Faust und ruft etwas Französisches. Das Donnern bricht wie eine Welle im Meer über mich herein. Sie hassen mich nicht, sie lachen auch nicht.
Sie applaudieren.
Ich habe es richtig gemacht.
Samuel P. liegt links neben mir auf dem Bauch. Ich kann ihn riechen. Es ist ein überraschend angenehmer Geruch, weil er sich mit Grünzeug getarnt hat und so tut, als wäre er ein kleiner Baum. Sams Körpergeruch erinnert deshalb vor allem an Gras und Erde mit einem Hauch Farn. Dahinter liegt wie eine Bassnote die Ausdünstung seiner Achselhöhle, die ich tunlichst ignoriere. So etwas will ich nicht zu tief in meine Lungen hineinlassen. Aber so sehr er auch stinkt, Sam ist in solchen Sachen sehr geschickt – mit »solchen Sachen« meine ich unser höchst professionelles Anpirschen.
Rechts neben mir kriecht Elisabeth
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