Die gelöschte Welt
sich auf den Tisch. Denk doch, was du willst, sagt mir ihr Blick, den ich mit einem ganz ähnlichen Ausdruck erwidere.
Tobemory Trent sitzt auf einem Barhocker und mustert mich. Mit seinen langen, spindeldürren Beinen und den knorrigen Händen, die er um einen Bierkrug gelegt hat, kommt er mir so vor wie immer, obwohl ich ihn noch nie mit eigenen Augen gesehen habe. Dann macht die Free Company Platz für neuere, eigenartigere Freunde. Neben Trent steht K (der Hirte, nicht das Original mit dem Sarong), der trotz seines Tweedzeugs durchaus im selben Haus aufgewachsen sein könnte; jedenfalls stellt er die gleiche Mischung aus Geduld und drohendem Unwetter zur Schau. Hinter K warten mehrere andere Ks, bekannte und weniger bekannte, und hinter ihnen ein Meer von Pantomimengesichtern, ausdruckslos unter der weißen Schminke.
Was, zur Hölle, soll ich nun sagen? Am besten, ich fange sofort an: »Hi, ich bin … oh, verdammt.« (Guter Vorsatz: Ich sollte mir gelegentlich einen Namen zulegen.) »Ich freue mich wirklich, euch alle heute Abend hier zu sehen, weil …«
Lyncht mich doch. Das wäre angenehmer als dies hier. Ich räuspere mich. Alle starren mich an. Was ich sagen wollte, bleibt stecken, und dann verflüchtigt es sich auf einmal aus meinem Kopf. Diese Leute wollen alles für mich riskieren, und ich kann sie nicht einmal richtig begrüßen. Ich könnte weinen, wenn ich überhaupt ein Geräusch hervorbringen könnte.
Das Geräusch, das mich rettet, ist vermutlich das schrecklichste Geräusch, das ich je gehört habe. Es ist das schrille, beleidigte Kreischen eines Schweins. Ein gewaltiges, die Trommelfelle zerfetzendes schmerzliches Heulen, das die Gläser scheppern und die Fensterläden klappern lässt. Es klingt, als hätte jemand in einem alten Schwarz-Weiß-Film einen Mord entdeckt, da der Oberkörper der Heldin unter irgendetwas begraben ist, wobei dem Zuschauer aber unmissverständlich deutlich gemacht wird, dass er sich doch noch hebt und senkt. Nicht wenige Schauspielerinnen hatten ihre Karrieren ihren beeindruckenden Lungen zu verdanken.
Der Wirt Flynn springt auf und rennt zur Hintertür, die im gleichen Augenblick aufspringt. Im Rahmen taucht eine Gestalt im Regenmantel und mit einem vollendeten Piratenhut auf.
»Entschuldigung!«, schreit die Erscheinung. »Ks Hirtenhund hat eben Ihre Schweine terrorisiert, die jetzt wild im Kreis herumlaufen. Die Hunde werden gerade mit Wasser übergossen, denn sie sind im Mist stecken geblieben, was die Schweine offenbar noch mehr aufgeregt hat. Aber es ist nichts passiert, alles unter Kontrolle, und den Schweinen ist es sowieso egal.«
Ike Thermite winkt allen zu, sogar den Schauspielern, die seinen Blick erwidern und denken, was Pantomimen eben denken, wenn sie mit dem Einzigen aus ihrer Mitte zu tun haben, der sprechen darf. Gleich hinter Ike taucht ein griesgrämiger kleiner Mann mit ledriger Haut und dem Körperbau eines Kämpfers auf, verwittert, aber ungebrochen. Und dazu mit einem unerschöpflichen Reservoir an schlechter Laune ausgestattet.
»Das sind keine Schweine«, sagt diese Person bestimmt, »das sind die Torhüter der Hölle der fliegenden Scheiße. Nicht nur, dass ich von ausgesprochen obszönen Tätigkeiten an einem Ort fortgerissen wurde, den wir nicht näher benennen wollen, und dessen Bewohnerinnen ihren einzigen Lebenszweck darin sahen, meine letzten Lebensjahre zur Feier meiner schwindenden sexuellen Kraft auszugestalten – nein, nein: Ich wurde außerdem auch noch mit Schweinekacke eingedeckt. Deshalb wollen wir nicht mehr als unbedingt nötig über den schönen Tag oder die kühle Nachtluft schwafeln, Mister Ike Thermite vom Matahuxee Mime Combine; wir werden vielmehr gleich zur Hauptsache kommen, und zwar schleunigst und ohne Verzögerung und Störung, damit ich nicht noch schlechte Laune bekomme und ausfallend werde. Aber wo«, schließt er, »wo ist denn nun eigentlich dieses Arschloch, dem wir die ganze Aufregung zu verdanken haben?«
Ich dränge mich nach vorn durch, schiebe Leute zur Seite und umarme ihn. Unter dem Flanellhemd fühlt sich seine Brust wie eine mit rohem Fleisch gepolsterte Stahlplatte an. Ronnie Cheung ist in Würde ergraut, aber das steht ihm, und selbst der Stein wird mit der Zeit vom Wasser abgeschliffen. Nach einer kleinen Pause spricht er weiter.
»Arschloch«, sagt er, »du stehst auf meinen Hühneraugen.«
Für die öffentliche Ansprache habe ich mir einen Fünfpunkteplan zurechtgelegt, der sich
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