Die gelöschte Welt
bekommen.
»Benutzen Sie ein Taschentuch!«, ruft jemand von drinnen. Auf einem Stuhl neben der Tür liegt eine Schachtel bereit, aus der ich mich bediene. Die Tür – leicht und eindeutig nicht verstärkt — öffnet sich in eine Kammer von der Größe eines Beichtstuhls.
Mr Horton hat keinen Assistenten, oder er hat Peter ins hintere Büro verbannt, und so sitzt er persönlich vor mir. Er ist ein winziger, an eine Ratte erinnernder Mann mit Ohren, die wie Solarpaneele von einem rosafarbenen nervösen Satelliten abstehen. Offenbar befindet er sich schon seit einer ganzen Weile in der Sommerhitze auf dieser Umlaufbahn, denn sein einzigartiger Geruch erfüllt den Raum. Er riecht nach Leinen und Minze und feuchtem, männlichem Beamten, ist aber Gott sei Dank keiner dieser Männer, die ein starkes, salziges Senfgas aus den Achselhöhlen absondern. Deshalb bin ich eher überrascht als abgestoßen. Er winkt mir, ich solle mich auf einen Stuhl setzen, und beugt sich neugierig vor. Ich schüttele leicht den Kopf, um den Vergleich mit der Spitzmaus zu verdrängen, damit ich nicht etwas Dummes sage, was mich die Anstellung kosten könnte. Er fragt, was er für mich tun könne, und ich erzähle ihm, dass ich einen Job suche, was ihn zu überraschen scheint.
»Aber mein lieber Junge«, sagt CT. Horton. »Doch wohl nicht bei uns?«
Ja doch, das ist das große Ziel meines Lebens.
»Weißt du denn, was wir hier tun?«
Das ist beinahe eine Fangfrage. Es ist so offensichtlich, dass man dafür keine Erklärung braucht, oder so geheim, dass man es nicht erwähnen darf, denn kein einziges der vielen Bücher, die ich gewälzt habe, um den Namen Crispin Horton und seine Koordinaten zu finden, konnte mir verraten, was sein Büro eigentlich tut.
»Wenn man es intelligent betrachtet«, sage ich und sehe Crispin Horton intelligent an, »dann ist dies die wichtigste Abteilung des öffentlichen Dienstes.«
»O ja, zweifellos«, sagt Crispin Horton sehr erfreut, »aber was hat dich auf uns aufmerksam gemacht? Es gibt nicht viele Leute«, fügt er traurig hinzu, »die überhaupt wissen, dass wir existieren. Es ist wohl notwendig, aber trotzdem traurig.«
Ich habe keine Ahnung, was meine Aufmerksamkeit erregt haben könnte, und auch keine Lust, unglaubwürdige oder unangemessene Möglichkeiten vorzuschieben. So füge ich mich ins Unvermeidliche und weiche der Frage aus. Auf diese Weise geht es noch eine Weile weiter, und bei jedem meiner Ausweichmanöver scheint Crispin Horton ein wenig mehr zu ermüden und trauriger zu werden. Jede meine Nicht-Antworten ist ein Sprungbrett für die nächste Frage, die ich nicht beantworten kann, und schließlich hebt er eine Hand und bittet um eine Pause. Ich weiß mit absoluter Gewissheit, dass er mich ganz und gar durchschaut hat. Die einzige Frage ist jetzt noch, ob er Mitleid mit mir hat oder meinen verlogenen, aalglatten Arsch achtkantig hinauswirft.
Crispin Horton blickt mich über den Schreibtisch hinweg an und macht eine Bestandsaufnahme. Dann stößt er ein gedehntes, leises Seufzen aus.
»Verzeihen Sie mir«, sagt er. »Ich glaube, Sie sind zu mir gekommen, weil Sie keine andere Wahl haben. Sie sind nur hier«, sagt Crispin Horton, »weil Ihnen irgendjemand alle anderen Möglichkeiten genommen hat.« Er schaut mich an, und mir wird klar, dass sein Satellitenschädel nicht zu der Sorte gehört, die Ferngespräche von Estland nach Kaschmir übermittelt, sondern einer von jenen ist, die einem die Haarwurzeln auf dem Kopf fotografieren und von da oben die E-Mail lesen können. C. T. Horton ist kein Mann, den man mit improvisiertem Geplapper und einem Gonzo-Grinsen über den Tisch ziehen kann.
»Ich kann mir vorstellen, dass Ihre Akte einen Anhang hat«, fährt C. T. Horton an seinem gemütlich-unordentlichen Schreibtisch fort. »Niemand wollte Sie einstellen oder hat auch nur ein ernsthaftes Bewerbungsgespräch mit Ihnen geführt.« Er sieht mich fest und mitfühlend an. »Weiterhin nehme ich an, dass die Verantwortlichen mit Ihnen über alles Mögliche, nur nicht über einen Job gesprochen haben. Trotz Ihrer glänzenden Ausweichmanöver möchte ich außerdem davon ausgehen, dass Sie keine Ahnung haben, was ich hier mache. Immerhin, Sie haben sich große Mühe gegeben.« An diesem Punkt breche ich beinahe in Tränen aus, schaffe es jedoch, mannhaft zu nicken und ihm zu verstehen zu geben, dass nichts von alledem meine Schuld ist und dass ich das Kreuz dennoch klaglos und ohne Hoffnung auf
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