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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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International Solutions & Development. Bei der Barnard-Fisch AG reden wir ausführlicher, als ich es je erwartet hätte, über das Wetter. Als Mr Lange-Lieman mich bittet, die typischen Eigenschaften der Kumulonimbuswolken zu wiederholen und fast erschrocken reagiert, weil ich danach wieder auf das Thema eines Arbeitsvertrages zu sprechen komme, dämmert mir, dass von einem Einstellungsgespräch keine Rede mehr sein kann. Bei der Cadoggan GmbH ist meine Gesprächspartnerin wenigstens so nett, mir zu erklären, was ihre Zweifel nährt.
    »Es ist höchst ungewöhnlich«, sagt sie, »dass die Akte eines Bewerbers einen verschlüsselten Anhang hat.«
    »Was steht denn drin?«, frage ich. Sie weiß es nicht. Das liege eben in der Natur der Sache. Vielleicht steht dort, dass ich ein verdeckter Ermittler bin. Vielleicht auch, dass ich krimineller Aktivitäten in Übersee verdächtigt werde, oder (auf einmal sitze ich wieder auf einem glatten, feuchten Stuhl) vielleicht besagt der Anhang auch, ich hätte irgendwann einmal mit unerwünschten Elementen zu tun gehabt. Ich öffne den Mund und will über Aline sprechen, aber meine Gesprächspartnerin bringt mich zum Schweigen. Wenn ich den Inhalt der Akte kenne, dann sollte ich berücksichtigen, dass die Informationen als vertraulich klassifiziert worden seien, und sie verspüre nicht den Wunsch, gegen Abschnitt I, Absatz (n) des Information Act und § 15 (vi) des Dissemination & Control Act sowie verschiedene andere Gesetze und Anordnungen zu verstoßen, die nach § 23 (x-xxi) eines Gesetzes, das seinerseits viel zu heikel ist, um es der Allgemeinheit zur Kenntnis zu bringen, der Geheimhaltung unterliegen. Da nun dieses große Fragezeichen über mir schwebe, könne sie mir leider keinen Job anbieten. So sieht es, wie ich mittlerweile herausgefunden habe, auch bei allen anderen aus.
    Gonzo ist wegen dringender romantischer Zusammenkünfte mit jemandem – genauer gesagt, mit mehreren Partnerinnen – nicht zu sprechen. Es stellt sich heraus, dass Elisabeth Soames, die ich als Zweite anrufe, gerade zu Hause in Cricklewood Cove ist. Ich besuche sie und schildere ihr die Lage. Elisabeth setzt jene ausdruckslose Miene auf, die ich mit verdrehten Augen und auf der Hand liegenden Antworten in Verbindung bringe. Dann fragt sie mich, welcher meiner Lehrer in Jarndice die reale Welt am besten versteht. Ich denke kurz nach – viele Professoren in Jarndice haben in der Wirtschaft und für die Regierung, in der Wissenschaft oder im Kunstbetrieb gearbeitet. Nur ein Einziger von ihnen vermittelte mir aber den Eindruck, wirklich welterfahren zu sein. Ich nenne seinen Namen, und Elisabeth nickt. Dabei werde ich das Gefühl nicht los, dass sie die ganze Zeit darauf gewartet hat, dass ich selbst auf irgendetwas komme. Ich frage sie danach. Sie sagt, sie studiere jetzt, um Reporterin zu werden. Sie verspüre den Drang zu reisen. Es gibt Dinge, die sie wissen wolle. Ihr Gesichtsausdruck zeigt mir, dass mehr dahintersteckt, als sie mir zu diesem Zeitpunkt offenbaren will. Wir gehen spazieren, und dabei bringe ich sie einmal zum Lachen.
    Als ich mich verabschiede, küsst sie mich einmal leicht auf die Wange. Es ist ein züchtiger Kuss, der aber tiefe Zuneigung verrät. Ich umarme sie, und mir wird bewusst, wie zierlich sie ist, wie schlank im Vergleich zu meinen Armen und meinem Oberkörper. Mir wird das bewusst, weil sie in meinen Armen fast verschwindet. Meine linke Hand liegt in ihrem Rücken, um sie an mich zu ziehen, und der rechte Arm umfängt sie ganz, sodass meine rechte Hand meine eigene Schulter berührt. Wir lösen uns voneinander, sie küsst mich noch einmal auf die andere Wange. Auf ihren weichen Lippen findet sich eine Spur von Feuchtigkeit. Der Kuss hält an, es kribbelt. Aber bevor ich sie ansehen und genauer betrachten kann, hat sie sich schon umgedreht und ist davongehuscht … Und da kommt mein Zug.
     
    »So ein Mist«, sagt Dr. Fortismeer. Er meint damit aber nicht meine Situation, sondern sein Moorhuhn, das soeben eine hübsche kalifornische Austauschstudentin namens Callista serviert hat. Fortismeer hat sie zu seinem persönlichen Butler ernannt, um etwas für die Gleichberechtigung der Frauen zu tun. »Sagen Sie doch bitte der Küche, dass das so nicht geht.« Callista wirft ihm einen heißen Blick zu, der dank ihrer Butleruniform besonders hinreißend wirkt, und geht hinaus. Das Moorhuhn sieht eigentlich ganz normal aus, ungefähr wie eine erschrockene Taube mit

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