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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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(entsprechend Vorgabe Ev/9), in Wirklichkeit aber dem ganzen Gebäude das Aussehen der chaotischen Innereien eines kranken Bisons gibt. Überwiegend sind die Leuchtstoffröhren (Energiesparlampen, Ev/6) dafür verantwortlich, denn sie strahlen vor allem im grünen und purpurfarbenen Bereich des Spektrums, und das sind keine Farbtöne, die zu blühender Gesundheit passen. Außerdem wird das Licht durch ultrahochfrequente elektrische Entladungen in einer Röhre voll von fluoreszierendem Gas erzeugt. Das bedeutet, dass die Lampen mit sehr hoher Frequenz flackern. Genau diese Frequenz führt aber leider bei 81 Prozent aller Erwachsenen zu Verspannungen, Gereiztheit und Migräne und hat außerdem den interessanten Nebeneffekt, bei Spitzmäusen Herzrasen zu verursachen. Spitzmäuse sind sehr stressanfällig, und da sie ohnehin schon ein ungünstig konstruiertes Herz-Kreislauf-System besitzen, darf man annehmen, dass jede Spitzmaus, die Mr Hortons Arbeitsplatz betreten will, um nach einem Job zu fragen, tot ist, bevor sie sich auch nur fünf Meter durch den langen Flur bewegt hat, in dem ich mich gerade aufhalte, woraufhin sie als organischer Müll von den geschulten Reinigungskräften entsorgt wird. Sollte die Spitzmaus erhöhte oder gar toxische Rückstände von Chemieabfällen enthalten, oder sollten Anzeichen von abweichendem und einer Spitzmaus nicht gemäßem Verhalten oder auch äußerliche Symptome ansteckender Krankheiten wie etwa Ausschläge, Blutungen oder punktförmige Blutergüsse Anlass zu dem Verdacht geben, dass die Spitzmaus irgendeinen gefährlichen biologischen Wirkstoff in sich trägt, dann bliebe die Entsorgung einem Katastrophenteam überlassen, das für solche Dinge ausgebildet ist. Der winzige Körper würde in einem passenden Behälter von Männern und Frauen in Raumanzügen entfernt und zu einem anderen Ort befördert werden, wo das Ausmaß der Bedrohung untersucht und dem kleinen Leichnam forensische Hinweise entlockt würden, ob der Todesfall zufällig geschehen sei oder ob es sich gar um eine selbstmörderische Spitzmaus gehandelt habe.
    Da unter normalen Umständen keine Spitzmaus dem Beschaffungsbüro auch nur nahe käme, müsste schon die bloße Anwesenheit des Tieres als Hinweis auf abnorme Aktivitäten aufgefasst werden. Ein verirrtes, verwirrtes und dem Tode geweihtes Nagetier dieser Art würde dafür sorgen, dass ein Regierungsgebäude mehrere Stunden schließen müsste, und dem Steuerzahler Kosten von mindestens einer Viertelmillion einbrocken. All das geht mir durch den Kopf, als ich zu Mr Hortens Büro schlurfe, um doch noch einen Weg zu finden, in dieser offenbar so feindseligen Welt Geld zu verdienen.
    Die Tür ist natürlich geschlossen, weil Männer wie Mr Horton nicht so ohne Weiteres zu sprechen sind. In meinen Träumen war diese Tür riesig und aus Holz, und die Flügel öffneten sich, bevor ich anklopfen konnte. In diesen Visionen saß ein eleganter und ernster junger Mann, dessen Intelligenz die meine übertraf, am Schreibtisch und stellte sich als Mr Hortons Privatsekretär vor. Er trug einen grauen oder schwarzen Anzug und ein konservatives Hemd und hieß mit Vornamen vermutlich Peter. Die Tür war schwer, zweifellos mit eigenartigen, ursprünglich für die Raumfahrt und die Tiefseeforschung entwickelten Materialien verstärkt und somit fähig, Geschossen, Bomben und jeglicher Gewalteinwirkung lange genug zu widerstehen, um dem unersetzlichen Expertenwissen in Person von Peter und Mr Crispin Horton genügend Zeit zu geben, angesichts eines so empörenden Angriffs Hilfe zu holen oder im weitläufigen Tunnelsystem hinter Crispin Hortens Arbeitszimmer in Deckung zu gehen. Oder sich sogar zu bewaffnen und die Invasion dank fortschrittlicher Gerätschaften und überlegener Fähigkeiten persönlich abzuwehren.
    Die Tür, der ich mich nun nähere, weiß nichts von diesen hehren Träumen und besteht zu meiner Enttäuschung aus hässlichem gegossenem Kunststoff. Sie hat ein schmieriges Fenster und trägt die gestanzte oder gar aufgebügelte Beschriftung »C. T. Horton, Beschaffung« in schmierigen goldenen Lettern. Ich hebe die Hand und rechne damit, dass mir jemand zuvorkommt, was aber nicht geschieht. So fällt mein erstes Klopfen eher schüchtern als donnernd aus, und ich muss meine Bemühungen sogar noch einmal wiederholen, ehe eine laute Stimme »Herein!« ruft. Dann kämpfe ich mit dem Knauf, weil meine Finger auf einmal glitschig sind und die Metallkugel nicht zu packen

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