Die Genesis-Affäre: Mind Control (German Edition)
ins Visier zu nehmen und abzudrücken. Und das wusste Ruschkow auch.
»Wir sterben sowieso«, bemerkte LeClerc ausgesprochen ruhig. Sein Körper hatte ihn offensichtlich mit einer derart hohen Dosis Adrenalin überschüttet, dass ihm selbst der Druck der Pistolenmündung nichts mehr anhaben konnte. »Ob du mich erschießt oder nicht, was macht das schon. Wenn das Kernkraftwerk explodiert, was meiner Einschätzung nach in absehbarer Zeit geschieht, hat keiner von uns eine Chance. Auch du nicht.«
»Ist mir egal«, murmelte Ruschkow.
»Wie kann dir das egal sein? Denk’ an die vielen Kinder, die in diesem Land groß werden wollen. Und sie haben ein Recht darauf!« LeClerc geriet in Wut und dreht sich nach hinten, um Ruschkow direkt in Augen sehen zu können. »Was können die Kinder dafür? Sie kennen ›deine‹ DDR nicht einmal, für die du wie besessen Stellung beziehst. Sieh es endlich ein, dass diese Zeit vorbei ist. Daran kannst du nichts ändern. Also – setz' dem Wahnsinn ein Ende, bevor es zu spät ist.« LeClerc wunderte sich über sich selbst, wie gelassen er jetzt dieser Situation gegenüberstand und ihm die Bedrohung mit der Schusswaffe überhaupt keinen Eindruck mehr machte. Wahrscheinlich hatte sein Gehirn sogar schon sämtliche Schmerzindikatoren gelähmt, um einer bevorstehenden Schussverletzung entgegenzusehen.
Plötzlich löste sich ein Mann aus der Menge, dort, wo auch Lena Jansen mit ihrem Kameramann stand. LeClerc erkannte Talert, der von irgendwoher eine Flagge der ehemaligen DDR aufgetrieben hatte. Im Laufen entfaltete er sie und hielt sie Ruschkow hin.
»Hey – Ruschkow, kannst du mich hören?«, rief er, »du willst deine DDR zurück. Aber wie soll die Flagge wieder auf allen Fahnenmasten wehen können, wenn das Land für Generationen nuklear verseucht ist?«
Ruschkow ließ das Seitenfenster hinunter. Aus seiner Sicht sah es grotesk aus, dass ausgerechnet Axel Talert als ehemaliger Republikflüchtiger die DDR-Flagge hochhielt. Ohne zu zögern riss Ruschkow seine Hand herum und zielte auf ihn, der blitzartig reagierte, sich zu Boden fallen ließ und sich hinter das Fahrzeug rettete. Als Ruschkow einen Schuss abgab, schrien unzählige Schaulustige auf.
»Gib endlich auf!«, unternahm LeClerc einen erneuten Versuch, »du hast nicht den Hauch einer Chance. Die Scharfschützen haben dich längst im Visier und warten nur noch auf die Schussfreigabe. Oder wie sonst erklärst du dir den roten Punkt an deiner Schläfe?« LeClerc war dieser Punkt aufgefallen, als er Ruschkow im Rückspiegel gesehen hatte. Erschrocken fasste sich dieser an die Schläfe, als ob der Laserpunkt zu fühlen wäre.
»Es ist vorbei. Sieh es endlich ein«, mischte sich Dutronc ein, die längst die Aussichtslosigkeit der Situation erkannte.
»Nichts ist vorbei. Vorbei ist es erst, wenn dieses verdammte Atomkraftwerk hochgeht.«
»Dein Hass ist eine Sache, eine andere die Nachbarstaa ten, die ebenfalls betroffen sein werden, aber mit der Auflösung der DDR nichts zu tun hatten.«
Ruschkow reagierte nicht, als ob er gar nicht verstand, was LeClerc sagen wollte.
»Hier spricht Hauptkommissar Storm vom BKA«, ertönte eine Megafonstimme. Zufrieden vernahm LeClerc, dass der Bundespräsident einem Militäreinsatz zugestimmt hatte und in diesen Minuten eine Pioniereinheit auf dem Weg nach Falkensee war, um die Antennen zu sprengen. So erleichtert LeClerc diese Nachricht aufnahm, so entrüstet war Ruschkow, der sein Werk der Zerstörung ausgesetzt sah. Dennoch, die Gefahr war damit noch lange nicht vorbei. LeClerc machte sich keine Illusionen. Bis es so weit wäre, die Sprengungen auszulösen, würde noch viel Zeit ins Land gehen. Das Wasser in den Kühltürmen würde immer weiter aufgeheizt und niemand konnte vorhersehen, wie lange es noch bis zur einsetzenden Kernschmelze dauern würde. Es könnte Stunden dauern, jedoch auch schon in den nächsten Minuten losgehen.
»Wir brauchen ein Notebook«, rief plötzlich Dutronc, »ich weiß auch, wie Falkensee heruntergefahren wird.«
»Bist du wahnsinnig«, brüllte Ruschkow, »willst du alles kaputt machen?«
»Verdammt, du hast doch schon alles kaputt gemacht«, schimpfte sie unter Tränen. »Wärest du nicht so verbohrt gewesen, wäre es nie so weit gekommen. Das war alles so nicht geplant. Wir wollten nur die Sache mit Frankfurt durchziehen. Von einem Atomkraftwerk war nie die Rede. Ich will nicht mit der Schuld weiterleben müssen, alles zerstört zu haben, für
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