Die Genussformel: Kulinarische Physik (German Edition)
die einzelnen Atome oder Moleküle bewegen. Aber hier können sie nur um ihren Gitterplatz schwingen – manche schneller, manche langsamer.
Auch in einem Wassertropfen – links – bewegen sich die einzelnen Wassermoleküle ungeordnet. Durch einen Luftstrom – rechts – werden einzelne Wassermoleküle aus dem Tropfen herausgerissen. Der Tropfen beginnt zu verdampfen.
Jetzt könnte man ganz vorsichtig den Wassertropfen anblasen. Dabei würden sich viele Luftmoleküle über den Wassertropfen hinwegbewegen, und manche dieser Luftteilchen würden einzelne Wassermoleküle herausreißen. Dadurch wird der Wassertropfen schnell kleiner, bis nichts mehr übrig bleibt. Der Wassertropfen ist verschwunden, ohne dass er erwärmt wurde.
Beim Verdampfen von Wasser wird zuerst die Geschwindigkeit der einzelnen Moleküle durch Erhitzen so stark erhöht, dass sich an den heißesten Stellen am Topfboden Dampf bildet. Beobachtet man den Boden eines Topfes mit kochendem Wasser, so erkennt man, dass sich nur an ganz bestimmten Stellen Dampfblasen bilden. An diesen Stellen ist der Topf nicht perfekt gearbeitet, sondern es gibt ganz kleine Spitzen (die so klein sind, dass man sie mit freiem Auge gar nicht erkennt), die sich besonders schnell erhitzen. Dort entstehen rasch Temperaturen von über 100 °C, und das flüssige Wasser wird gasförmig. Wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass die Dampfblasen durchsichtig sind. Oberhalb des Topfes bildet sich dann ein Nebel. Dieser wird zwar gerne als Wasserdampf bezeichnet, aber das ist falsch. Es sind kleinste Wassertröpfchen, die an der kalten Luft kondensieren und einen Nebel bilden. Besonders eindrucksvoll kann man dieses Phänomen im Winter in der Nähe eines offenen Fensters beobachten.
Beim Verdampfen erhalten die einzelnen Wassermoleküle durch die Wärmequelle, zum Beispiel durch die Herdplatte, eine so hohe Geschwindigkeit, dass die schnellen Moleküle rasch aus der Flüssigkeit abhauen können. Einerseits wird dadurch die Flüssigkeit im Inneren des Topfes weniger, und andererseits kann keine höhere Temperatur als 100 °C erreicht werden.
Damit stellen sich folgende Fragen: Wie kann man rascher kochen oder Speisen warm halten? Weshalb kühlen Speisen überhaupt aus?
Warum ein Deckel?
Ein Deckel verhindert, dass die schnellen Wassermoleküle an die Umgebung abgegeben werden. Sie können zwar aus dem Wassertopf entweichen, sobald sie aber auf den Deckel treffen, kondensieren sie wieder. Dabei erwärmen sie den Deckel. Sobald der Deckel aber die Temperatur des heißen Wassers hat, können sich die einzelnen Wassermoleküle nicht mehr am Deckel festsetzen. Sie gelangen aber auch nicht ins Freie. Also werden sie teilweise wieder ins Wasser zurückkehren, um das Wasser, dieses Mal von oben, zu erwärmen. Kurz gesagt: Ein Deckel verhindert, dass schnelle Wassermoleküle das Gefäß verlassen.
Was macht man aber, wenn man keinen Deckel bei der Hand hat? Sie können zum Beispiel einen flüssigen Deckel aus Öl verwenden. Öl weist eine geringere Beweglichkeit als Wasser auf. Es verdampft erst bei viel höheren Temperaturen. Da Öl auf Wasser schwimmt, sammelt es sich genau zwischen der Luft und der Flüssigkeit. Versuchen die schnellen Wassermoleküle aus der Flüssigkeit abzuhauen, müssen sie durch die Ölschicht. Aber das Öl lässt die Moleküle nicht vorbei. Daher bleiben sie in der Flüssigkeit. Dadurch erhitzt sich die Flüssigkeit sogar schneller, als wenn man einen Deckel verwenden würde.
Natürlich brauchen wir keine zentimeterstarke schwimmende Schicht aus Fett auf der Gulaschsuppe. So wichtig Fett als Geschmacksträger ist, aber Sie sollten es nicht übertreiben. Es reicht schon, wenn sich tausende und abertausende kleinste Fetttröpfchen auf der Gulaschsuppe befinden. Jedes einzelne Tröpfchen hält die schnellen Wassermoleküle zurück. Natürlich gibt es zwischen den Tröpfchen immer noch genügend freien Platz zum Entkommen, aber der ist bedeutend kleiner geworden. Dieses System wird auch bei der Französischen Zwiebelsuppe angewandt. Da verwendet man allerdings Käse, der auf der Oberfläche schwimmt – Käse ist auch nichts anderes als Fett, zumindest für diesen Fall.
Es ist Winter, und Sie haben bei einem der Christkindlmärkte eine feurige Gulaschsuppe erstanden. Sie rühren kräftig um, damit die Suppe etwas auskühlt, um sich nicht die Zunge zu verbrennen, dann nehmen Sie den ersten Löffel zu sich. Natürlich ist am ersten Löffel
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