Die Genussformel: Kulinarische Physik (German Edition)
schneiden und dazugeben. Dann den Sud in die Schüssel mit dem Fleisch gießen und zum Gelieren kalt stellen. Nach rund zwölf Stunden ist die Sulz fertig und kann nun in Würfel geschnitten werden. Gut schmeckt die Sulz mit geschnittenen Zwiebeln, Essig und Kernöl, einer Prise Pfeffer darüber und Brot.
Dieses Rezept ist schon genussfertig, sprich es schmeckt. Aber das große Geheimnis der Sulz wird durch die vielen Gewürze verdeckt. Betrachten wir ein einfacheres Rezept: Ein paar Schweinsschwarten in Wasser leicht köcheln lassen. Nach einer Stunde den Topf vom Herd nehmen und die Flüssigkeit gelieren lassen.
Diese Sulz schmeckt zwar nach nichts, verdeutlicht aber die Sulzherstellung. Es geht darum, dass durch das lange Kochen Wirkstoffe freigesetzt werden, die gelieren können. Bei dem Wirkstoff handelt es sich um das sogenannte Kollagen. Es ist das wichtigste Eiweiß in der Haut, den Sehnen, den Knorpeln und dem Bindegewebe. Es sorgt dafür, dass Fleisch zäh ist, oder wenn es nur zu einem geringen Anteil vorhanden ist, dass das Fleisch butterweich, also mürbe ist.
Beim Kollagen bilden drei Moleküle eine Tripelhelixstruktur. Die drei langen Moleküle sind miteinander verschraubt.
In der linken Grafik sieht man die einzelnen Kollagenfasern, die sich aneinanderlagern. Erhöht man die Temperatur, löst sich die Tripelhelixstruktur, und die einzelnen Moleküle lösen sich voneinander. Sinkt die Temperatur wieder, so versuchen die einzelnen Moleküle sich wieder zu verschrauben. Aber das gelingt ihnen nicht mehr. Dabei werden Wassermoleküle eingeschlossen. Das Fleisch wird wieder fest.
Bei vielen Hautcremes wird damit geworben, dass durch die Anwendung dieses oder jenes Produktes das Kollagen verstärkt und damit die Haut gestrafft wird. Vom chemischen Standpunkt handelt es sich bei dem Kollagen um ein Makromolekül, das wiederum aus drei einzelnen Molekülen besteht. Die drei langen Moleküle bilden eine sogenannte Tripelhelixstruktur.
Sie winden sich eng anliegend, ähnlich wie bei einem Zopf, umeinander. Kommt Wasser dazu und haben wir eine Temperatur von über 50 °C, so lösen sich diese Moleküle. Sie denaturieren und bilden die sogenannte Gelatine. Sobald die Temperatur wieder sinkt, versuchen die Moleküle einander wieder näher zu kommen. Dies können sie aber nur bedingt, da sich etwas Wasser zwischen den Molekülen befindet. Das Wasser wird nun eingeschlossen. Es kann sich nicht mehr bewegen. Nehmen Sie einen Kunststoffbeutel mit etwas Wasser, so ist zwar das Wasser eingeschlossen, das Ganze aber noch ziemlich schwabbelig. Ist der Beutel aber prall gefüllt, so wird er hart und fest. Ähnlich verhält es sich mit dem Kollagen und dem Wasser – es wird in Hohlräumen gebunden. Sobald das Wasser zu kalt ist (unter 50 °C), können sich die einzelnen Moleküle nicht mehr umgruppieren, und die Gelatine erstarrt.
Oft steht in den Rezepten, dass man die Gelatine im Kühlschrank kalt stellen sollte. Vom Standpunkt der Naturwissenschaft ist dies aber nur zum Weinen. Sollte man diesen Ratschlag nämlich befolgen, so beginnt die Gelatine tatsächlich zu „weinen“. Das Problem besteht darin, dass die Gelatine dann zu rasch abkühlt. Die einzelnen Kollagenmoleküle versuchen mit anderen Kollagenmolekülen beim Abkühlen eine Verbindung einzugehen. Dies gelingt ihnen auch, aber manchmal ist die Verbindung nicht perfekt. Das Wasser könnte noch entweichen. Möglicherweise ist das Makromolekül auch noch etwas gestaucht oder verbogen. Wenn es etwas mehr Zeit hat, wird es sich andere Moleküle als Partner suchen und kann dann entspannter stabilere Verbindungen eingehen. Das Wasser ist dann besser gebunden und die Gelatine hart und fest. Aber wenn die Gelatine zu rasch abkühlt, bleibt zu wenig Zeit für die Moleküle, um sich gute, verlässliche Partner zu suchen. Es entstehen zwar Verbindungen, diese sind aber lose, und das Wasser wird dabei nicht gut gebunden. Nach einer Nacht im Kühlschrank bilden sich dann kleine Tropfen auf der Oberfläche der Sulz – die Gelatine hat „geweint“. Die Gelatine ist dann auch nicht besonders fest, und wenn man Pech hat, ähnelt sie mehr einer Sauce. Wie Sie Saucen mit Gelatine binden, erfahren Sie später.
Benötigen Sie aber wirklich rasch gute Gelatine, so können Sie natürlich zusätzlich ein paar Blätter Gelatine einrühren. Die Gelatine wird dann aber möglicherweise sehr hart.
Sie sollten auch nicht während des Erstarrungsprozesses in der
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