Die geprügelte Generation
ab.
Am bemerkenswertesten war für mich die Stellungnahme des Pädagogen Jörg Dieterich, der laut Anhörungsprotokoll tief in die Mottenkiste der schwarzen Pädagogik griff. Wörtlich sagte er laut Sitzungsprotokoll:
Wer von Ihnen ist noch nie gedemütigt worden? Ein Kind muss lernen, mit Demütigungen so umzugehen, dass es sie wegsteckt. Ich frag sie ganz polemisch: Warum nicht das Thema Demütigung den liebenden Eltern überlassen? Warum sollte ich nicht sagen, ein Elternteil darf sein Kind schlagen, wenn er es liebt? Wenn es die Eltern nicht tun, dann macht es jemand anderes und der liebt dieses Kind garantiert weniger. Natürlich gibt es auch Leute, die ihre Kinder verdreschen. Aber ich spreche auch für Eltern, die ihre Kinder lieben und die ihren Kindern das Thema Demütigung beibringen möchten, und zwar in einem guten Sinn. Mein Vater ist Professor für Pädagogik. Ich selber werde es vielleicht mal. Ich wünsche es mir. Der hat mich gehauen und ich liebe ihn und er hat mir was beigebracht. Denken Sie darüber nach!
Die Kinderrechtsexpertin Lore Peschel-Gutzeit reagierte empört auf die Position dieses Pädagogen und mailte mir eine Anekdote aus den vielen Jahren, in denen sie schon – wie sie es nennt – als Wanderpredigerin durch Deutschland gezogen ist und Eltern und Erzieher aufgefordert hat, Kinder auf keinen Fall zu schlagen. Immer wieder begegnete sie hierbei dem Argument, das auch Dieterich bei der Anhörung anführte: »Aber mir hat der Klaps doch auch nicht geschadet«. Meistens wurde ihr das »im allgemeinen mit einem außerordentlich harmlosen Gesicht« gesagt. Als ihr eines Tages der Senatspräsident eines Oberlandesgericht mit eben diesem Argument kam, antwortete sie ihm: »Was wissen Sie denn, was für ein bezaubernder Mensch aus Ihnen geworden wäre, wären Sie nicht geschlagen worden«. Das ist, so ihre Erfahrung, »ein sehr wirksames Mittel, um diesem blöden und dummen Satz zu begegnen.«
Der Leiter des Bayerischen Landesjugendamtes, Robert Sauter, machte bei der Anhörung übrigens deutlich, dass er eine gewaltfreie Erziehung für unmöglich hielt und sprach sich stattdessendafür aus, in einem geänderten Gesetz nicht nur den Eltern Auflagen zu machen, sondern auch die Pflichten des Kindes festzulegen, um nicht den Eindruck zu erwecken, bei den Eltern handele es sich »um wilde Tiere, die man an die Kette legen muss«.
Horst Schetelig, Kinder- und Jugendtherapeut, fragte sich bei dieser Anhörung allerdings erstaunt, warum dieses Thema erst jetzt zur Debatte komme. Wo doch Kinder von Eltern so geprügelt werden, »dass man sie als Sachverständiger gutachterlich vergleichen muss mit einem Menschen, der bei 50 km/h einen Unfall hatte mit dem Auto. Es kommt zu Nasenbeinbrüchen, Augenverletzungen, Rippenbrüchen.«
Die Vorsitzende des Kieler Kinderschutzzentrums, Irene Johns, machte darauf aufmerksam, dass eine Bestrafung »immer das Risiko einer Eskalation in sich birgt. Ich denke, das ist besonders wichtig, wenn wir über die Frage diskutieren: Schadet ein Klaps?« In ihrer Argumentation gegen Ohrfeige und Klaps bezog sie sich auf eine britische Langzeituntersuchung der Universität Nottingham, die das an über 700 Familien sehr deutlich aufzeigt. Danach nimmt bei denjenigen Eltern, die bereits ihren Säuglingen Klapse gegeben haben, sowohl die Häufigkeit als auch der Schweregrad der körperlichen Bestrafung zu. Viele Eltern, die auch nach dem 7. Lebensjahr noch ihre Kinder schlugen, benutzten nicht mehr nur die bloße Hand. Ich denke, das zeigt auch, dass der Übergang von körperlicher Bestrafung zu Kindesmisshandlung ein fließender sein kann.
2000 beschloss der Bundestag endlich mit großer Mehrheit, dass jedes Kind ein Recht auf gewaltfreie Erziehung hat. Damit wurde aus der elterlichen Gewalt die elterliche Sorge. In § 1631 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches heißt es von nun an:
Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.
Das Parlament billigte damit den Gesetzesentwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Während FDP und PDS für die Vorlage votierten, stimmte die CDU/CSU dagegen. Damit wurde nach über 20-jähriger Diskussion am 8. November 2000 zum ersten Mal das Recht von Kindern auf eine gewaltfreie Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert.
»Strafrechtliche Konsequenzen folgen aus dem neuen Verbot erst, wenn die
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