Die geraubte Braut
an abgelagertem Holz verschafft hatte, dennoch dauerte es eine Welle, bis ihr Zittern nachließ.
Sie lag da, den Kopf auf die verschränkten Arme gestützt und dachte über dieses Geheimnis nach. Vermutlich hatte die Szene, deren Zeugin sie geworden war, mit Lord Granvilles militärischen Aktivitäten zu tun. Vielleicht würde es sich lohnen zu erkunden, was hinter der Tür lag, die sich auf den Graben hin öffnete.
Am nächsten Morgen erwachte sie früh und sah voller Freude, dass die Sonne schien. Ein schwaches diffuses Gelb zeigte sich durch das Ölpapier, das das Fenster verschloss. Ein kühles Licht, aber immerhin aufmunternder als das eintönige Grau der vorangegangenen Tage.
Sie sprang aus dem Bett und zog sich schon an, während sie eilig das fast erloschene Feuer schürte. Dann ging sie in die Kinderstube, um dort nach Janets Anweisungen ihren morgendlichen Pflichten nachzukommen.
Es dauerte nicht lange, und Olivia steckte den Kopf durch den Türspalt. »Vater möchte wissen, warum du nicht beim Frühstück bist, Portia.«
Portia blickte von der Windel auf, die sie wechselte, und sagte erstaunt: »Aber ich frühstücke immer in der Küche.«
»Das weiß Vater nicht.«
Portia verzog das Gesicht. »Und Ihre Ladyschaft hat ihm vermutlich nicht gesagt, dass es ihre Idee war.« Lord Granville hatte sie seit dem Morgen nach ihrer Ankunft kaum zu Gesicht bekommen. Da er tagelang abwesend war und sich nur selten im Wohntrakt blicken ließ, wenn er sich auf der Burg aufhielt, war Dianas Herrschaft unumschränkt.
Olivia schüttelte den Kopf. »Wirst du kommen?«
»Natürlich.« Bereitwillig übergab Portia Janet das Baby und nahm Olivia bei der Hand, als sie den Korridor zum Esszimmer entlanggingen.
Olivia konnte sich nicht erinnern, jemals so glücklich gewesen zu sein. Portia war wie Sonnenschein, ein heller Schimmer, der sich über das trübselige Leben auf Castle Granville legte, die Schatten durchdrang und die feuchte Kälte der Festung erwärmte. Sogar mit dem Gesinde schien eine Veränderung vorgegangen zu sein. Wenn Portia sich zu den Leuten gesellte, sah man nur Lächeln auf ihren Gesichtern und hörte gutgelaunte, scherzhafte Bemerkungen. Olivia, die man gelehrt hatte, Dienstboten nur im Licht ihrer Pflichten zu sehen, stellte fest, dass das Zusammensein mit Portia ihr eine Reihe von neuen Erkenntnissen brachte. Nun erst sah sie den Menschen hinter der beherrschten Miene jener, die sie bedienten. Sie erfuhr von ihren Familien, von ihren Sorgen und kleinen Freuden.
Sie betraten das Esszimmer, und Cato staunte, als er einen Ausdruck im Antlitz seiner Tochter sah, der ihn an das unbefangene, glückliche Kind von einst erinnerte. Er fragte sich ernsthaft, warum es so ungewöhnlich war, sie lächeln zu sehen und lachen zu hören.
Olivia knickste und nahm ihren Platz am Tisch ein. Auch Portia knickste, murmelte ein ›Guten Morgen‹ und setzte sich.
Diana betrachtete sie mit verstohlenem Unwillen. Das Mädchen war so unansehnlich und reizlos mit ihrem bleichen Gesicht, den unmöglichen Sommersprossen und den durchdringenden grünen Augen. Und doch vibrierte Portia vor Energie und Zielstrebigkeit, die Diana irgendwie bedrohlich empfand. Sie wusste, dass es lächerlich war, sich vorzustellen, dieser vom Glück nicht eben begünstigte Bastard-Sprößling könne ihren eigenen Frieden bedrohen, aber das Leben auf Castle Granville, das nie sehr anregend gewesen war, hatte sich seit Portia Worths Ankunft zum Schlimmeren gewendet. Zwar konnte Diana Portia nicht die Schuld daran geben, dass der Marquis im Krieg die Seiten gewechselt hatte, aber in ihrer momentanen voreingenommenen Stimmung brauchte sie einen Sündenbock.
»Vielleicht könntest du uns den Grund deiner Belustigung mitteilen, Olivia«, schnappte sie giftig. »Es ist der Gipfel schlechter Manieren, sich vor anderen allein über einen Scherz zu amüsieren. Portia mag das unbekannt sein, du aber weißt es.«
Das fröhliche Blitzen in Olivias Augen erlosch. »Es ist kein Scherz, Ma-madam«, murmelte sie.
»Nun, etwas scheint dich zu erheitern«, drängte Diana. »Sag uns, was es ist.«
»Madam, das Baby hat heute zum ersten Mal gelächelt«, sprang Portia ein und strich Butter auf eine Scheibe Gerstenbrot. »Ich glaube, es wirkte auf uns beide ansteckend.«
Als Olivia unter gesenkten Wimpern aufblickte, erhaschte sie Portias spitzbübisches Augenzwinkern und hätte am liebsten laut gekichert. Dianas Bosheit verlor ihre Schärfe. Sie nahm sich
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