Die geraubte Braut
hätten sie sich nicht eben einen erbitterten Kampf geliefert.
»In Yetholm gibt es ein Haus mit etwas zweifelhaftem Ruf«, sagte Rufus eben. »Seine Gastlichkeit lässt allerdings nichts zu wünschen übrig. Dort wollen wir eine Rast einlegen und die Verwundeten versorgen, ehe wir weiter nach Newcastle reiten. Einer Eurer Leute scheint sein Bein gebrochen zu haben, aber in Yetholm werden wir einen Wundarzt für ihn holen. Ach, Will … wie sieht der Schaden aus?«
Will starrte Portia an. »Was macht sie denn hier?«
»Sie machte sich bemerkenswert nützlich«, sagte Rufus trocken. »Zufällig bist du ihr große Dankbarkeit schuldig. Mistress Worth versteht mit einem Messer wie ein Meuchelmörder umzugehen.«
Wills Augen wurden noch größer, und Portia konnte es sich nicht verkneifen, ihn nachzuäffen, indem sie ihre Augen ganz weit aufriss. Wills Miene wurde sofort wieder normal. »Das war Euer Messer?«
»Ja, ich möchte es zurückhaben«, sagte sie trocken. »Hat der Mann es aus seinem Arm herausgezogen?«
»Wir hielten es für besser, es steckenzulassen, bis er in ärztliche Behandlung kommt.« Rufus' Geisel stellte für Will ein Rätsel dar, für dessen Lösung er keine Zeit hatte, da es Dringenderes zu tun gab. »Wenn wir es hier herausziehen, könnte er verbluten.«
»Vielleicht könnte man einen Knebelverband anlegen. Ich will nach ihm sehen«, bot sie an.
Will sah seinen Vetter fragend an, der aber wiederholte nur mit sichtlicher Ungeduld seine Frage: »Wie hoch sind die Verluste?«
»Abgesehen von dem Mann des Colonels, der sich ein Bein brach, und dem Mann mit dem Messer im Arm ist es nicht so schlimm. Ned hat eine Fingerspitze verloren. Die sucht er jetzt, weil er glaubt, sie ließe sich wieder annähen.«
»Ned hat von jeher komische Ideen.« Rufus schüttelte den Kopf. »Wir wollen eine Tragbahre für den Beinbruch machen. Alle sollen aufsitzen, es geht nach Yetholm.«
Rufus ging zu Portia, die sich über den Mann beugte, in dessen Arm ihr Messer steckte. »Hast du Kenntnisse in Wundversorgung?«
»Ich musste Jack mehr als einmal zusammenflicken, wenn er in eine Schlägerei geraten war und wir uns keinen Arzt leisten konnten«, gab sie zurück. »Oft waren es schlimmere Verletzungen als diese da.« Sie hatte ihr eigenes Taschentuch als Knebel benutzt, nachdem sie das Messer herausgezogen hatte, und machte nun aus einem fleckigen Tuch, das sie aus Ajax' Satteltasche genommen hatte, eine Armschlinge. »Da Ihr den Proviant verzehrt habt, dachte ich, Ihr würdet es uns borgen.«
»Aber gern. Alles aus meinen Beständen, das brauchbar sein könnte«, gab er freundlich zurück. »War da eben ein Anflug von Neid wegen des Proviants herauszuhören?«
»Ja, da niemand daran dachte, für mich etwas einzupacken.«
»Vermutlich hatten die Köche keine Ahnung von deinen Absichten«, bemerkte Rufus und schlenderte mit einem leisen Auflachen davon.
In Yetholm langten sie erst nach Sonnenuntergang an. Inzwischen war es so bitterkalt geworden, dass die Pferde zitterten und stampften und der Verwundete auf der Trage sein von Zähneklappern begleitetes Stöhnen nicht unterdrücken konnte.
Portia, die den Abschluss der Kolonne bildete, fror wie noch nie im Leben, obwohl ihr Verstand ihr sagte, dass es unmöglich war. Aber der Hunger nagte so an ihr, dass sie ihr Zittern nicht beherrschen konnte. So jämmerlich war ihr zumute, dass sie Ajax zunächst gar nicht bemerkte, der aus der Dunkelheit auf sie zukam. Rufus' Stimme, schneidend vor Besorgnis, ließ sie jäh aufblicken.
»Los, zieh die Beine aus den Bügeln.« Er beugte sich zu ihr und hob sie aus dem Sattel, um sie au ' f sein Pferd zu setzen. Dann nahm er seinen Mantel und hüllte sie darin ein, ehe er sie an sich zog. Trotz seines Brustpanzers, der gegen ihren Rücken drückte, spürte sie seine Körperwärme. »Will, du nimmst Penny am Zügel.«
Portia war gar nicht aufgefallen, dass Will an Rufus' Seite geritten war. Der junge Mann ergriff nun Pennys Zügel und folgte Rufus, der wieder die Spitze der Kolonne übernahm.
»Woher habt Ihr gewusst, dass ich friere?« Ihre Zähne klapperten hemmungslos.
»Eine Vermutung, die sich als richtig erwies«, erwiderte er spöttisch. Ohne seinen Mantel spürte er, wie der kalte Wind durch sein Lederkoller schnitt.
Das Dörfchen Yetholm lag beidseits eines Karrenweges. Am Rand des Ortes stand ein einstöckiger strohgedeckter Bau. Licht drang aus den mit Ölpapier bedeckten Fenstern, deren Balken
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