Die geraubte Braut
blauen Himmels war zu sehen. Die Luft war kalt und feucht, und die Nässe, die ständig von den Felswänden lief, ließ bizarre Eiszapfen wachsen.
Nun ritten sie in völligem Schweigen einzeln hintereinander, fast so, als hätte die abweisende und düstere Umgebung auf ihre Haltung abgefärbt und die Hochstimmung von vorhin gedämpft. Penny bahnte sich den Weg behutsam zwischen einem grobknochigen Wallach und einer zierlichen Rappstute hindurch. Ein Weg wie dieser schien ihr völlig vertraut zu sein, als hätte sie schon oft solche Aktionen mitgemacht, doch verhinderte ihre Position zwischen zwei anderen Pferden Portias Entkommen vom schmalen Pfad. Sie würde warten müssen, bis der Engpass sich öffnete.
Die Reiterabteilung befand sich noch im Hohlweg, als Rufus sein Pferd zügelte und das Zeichen zum Anhalten gab. Erst konnte Portia nicht sehen, was los war, dann bemerkte sie, dass einer der Männer den Felshang hinaufkletterte, so gelenkig, als erstiege er eine Leiter. Oben angekommen, legte er sich auf den Bauch und robbte weiter.
»Mittlerweile müssten sie schon ganz nahe sein«, raunte ihr Vordermann Portia zu, als er sich im Sattel umdrehte, um Proviant aus seiner Satteltasche zu holen. »Der Herr verschätzt sich nie.«
Rufus musste seine Berechnungen aufgrund der Geschwindigkeit von Levens Truppe gemacht haben. Aber wie konnte er dies aus so großer Entfernung und ohne Fernglas feststellen?
Trotz der unwirtlichen Umgebung machten sich die Männer nun über ihren Proviant her; offenbar, um sich für den. Kampf zu stärken – eine Aussicht, die sich auf ihren Appetit nicht auszuwirken schien. Portia quälte der Hunger, ihr blieb aber nichts übrig, als hungrig zu schnuppern und Gleichgültigkeit zu mimen.
Der Späher kletterte wieder herunter und lief zu Rufus, der sich hoch zu Ross in aller Gemütsruhe an Brot und Käse gütlich tat. Es folgte hastiges Geflüster, dann kam die Nachricht die Reihe entlang. »Sie nähern sich dem Taleingang. In Stellung gehen.«
Der Proviant wurde weggepackt, die Musketen hervorgeholt. Die Männer ritten bis zu einem Punkt vor, an dem der Hohlweg sich wie eine Flussmündung öffnete und in ein Flachstück überging. Kahle Bäume und moosüberwucherte Felsblöcke von der Größe kleiner Hügel umgaben als natürliche Abgrenzung das Gelände und machten es zum idealen Ort für einen Hinterhalt.
Die Decatur-Männer sammelten sich nun in Fünfergruppen, eine Reihe hinter der anderen, tief in den Schatten des Engpasses verborgen. Wenn Portia jetzt blieb, lief sie Gefahr, entdeckt zu werden. In den Fünfergruppen war kein Platz für Nummer einunddreißig. Ihre Fluchtchance war gekommen. Sie lenkte Penny die Reihen entlang rücklings nach hinten. Wenn sich niemand umblickte, konnte sie um die Biegung verschwinden und unbemerkt zurückreiten, bis sie wieder offenes Gelände erreichte. Irgendwie würde sie dann sicher den Weg nach Castle Granville finden.
Das Wunder geschah, und niemand drehte sich um. Niemand schien zu bemerken, dass ein einsamer Reiter sich rücklings davonmachte. Kaum war sie um eine Wegbiegung, als Portia ihr Pferd wendete. Hinter sich hörte sie nichts, nicht einmal Hufscharren oder leises Gewieher, doch spürte sie die Spannung wie ein festes Band um ihre Brust, während der kleine Trupp darauf wartete, Leben und Kampfgeschick gegen den Feind einzusetzen.
Plötzlich wusste Portia, dass sie dem Kampfgeschehen nicht einfach den Rücken kehren konnte. Sie musste sehen, was geschah. In dem Chaos, das dem Kampf folgte, würde sie noch früh genug unbemerkt entwischen können. Sie saß ab, band Penny an einem Felsvorsprung fest und machte sich daran, den Felshang zu erklimmen. Als vorhin der Mann hinaufgeklettert war, hatte es einfach ausgesehen, und es fanden sich tatsächlich Haltepunkte für Hand und Fuß, dennoch war es ein mühsamer Aufstieg, bis sie sich keuchend auf den Felsgrat hinaufziehen konnte.
Bäuchlings auf dem kalten Untergrund liegend, stellte sie fest, dass sie einen idealen Blick auf den Schauplatz des Hinterhalts hatte. Als sie 'sah, wie Lord Levens Patrouille sich zwischen den kahlen Bäumen hindurchbewegte, schlug ihr Herz bis in den Hals.
Der Angriff kam so schnell und lautlos, dass Lord Levens Männer umzingelt waren, ehe sie wussten, wie ihnen geschah. Decaturs Reitertrupp stürmte aus der Schlucht hervor, Reihe um Reihe, und schwärmte aus, bis seine Beute eingekreist war. Für die Beobachterin von oben gab es einen Moment, da es
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