Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
bemalt waren, wie an Farbresten zu erkennen ist. Altar und Taufbecken, Zeugnisse der frühmittelalterlichen Kultur, sind heute im Museo Cristiano in Cividale zu bewundern. Es dürfte sich um Werke byzantinischer Künstler handeln, die infolge des Bilderstreits im oströmischen Reich ihre Heimat verlassen hatten. Bilderverbot und Eroberungen durch Muslime hatten dazu geführt, dass die Künstler in den Westen und vor allem in die langobardischen Machtzentren abgewandert waren.
Wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts entstand in Forum Iulii, wohl als Teil eines zum Palast der königlichen Verwalter (»Gastalden«) gehörenden Klosterkomplexes, eine Kapelle, die als »Tempietto Longobardo« berühmt geworden ist. Sie ist ausgeschmückt mit Fresken, Mosaiken und Stuckornamenten. Einzigartig sind die original erhaltenen sechs Frauenfiguren aus Stuck. Cividale hat Glück gehabt, dass es im Mittelalter in relative Bedeutungslosigkeit versank. So blieben die Kunstschätze vor Eroberern verschont. Seit 2011 gehört die Stadt zum Weltkulturerbe der Unesco.
Schon als Ratchis Herzog in Forum Iulii war, unterhielt Paulus freundschaftliche Beziehungen zu ihm, die auch nicht abrissen, als Ratchis in der Nachfolge Liutprands 744 zum König der Langobarden gewählt wurde. Paulus folgte ihm an den Hof nach Pavia. König Liutprand, laut Paulus »zwar Analphabet, aber doch mit den Philosophen gleichzusetzen«, hatte dort eine Hofschule gegründet, an der lateinische Kultur vermittelt wurde. Zu den Schülern dieses intellektuellen Zentrums zählte auch Paulus. Später widmete er sich noch der Theologie, empfing 751 die Priesterweihe und zog 770 ins Stammkloster der Benediktiner, die Abtei Monte Cassino im langobardischen Herzogtum Benevent. Er schrieb eine Grammatik, eine Geschichte Roms, eine Biografie Papst Gregors des Großen und diverse Dichtungen.
Ratchis, der mit einer Römerin verheiratet gewesen sein soll, suchte den Ausgleich zwischen den Bevölkerungsgruppen. Dadurch geriet er jedoch in schwere Konflikte mit dem langobardischen Adel, der um seine Vorrangstellung fürchtete. Ratchis wurde entmachtet und ging ins Kloster Monte Cassino. Neuer König wurde sein Bruder Aistulf. Nach dessen Tod Ende 756 versuchte Ratchis noch einmal die Macht zu ergreifen. Herzog Desiderius von Tuscien (Toskana) beanspruchte jedoch ebenfalls den Thron. Er verbündete sich mit Papst Stephan II . und Abt Fulrad von Saint-Denis, einem der wichtigsten Ratgeber des Frankenkönigs Pippin des Jüngeren. Angesichts dieser Widerstände scheint Ratchis nach drei Monaten abgedankt zu haben. Desiderius wurde König der Langobarden – als letzter seines Volksstamms.
Der Frankenkönig Karl, der später zum Kaiser gekrönt und »der Große« genannt wurde, heiratete 770 eine Tochter des Desiderius – ein Zweckbündnis, das gegen Karls Bruder Karlmann gerichtet war. Denn Pippin hatte verfügt, dass nach seinem Tod das Reich zwischen seinen beiden Söhnen aufgeteilt werden sollte, was dann 768 auch geschah. Als Karlmann im Dezember 771 überraschend mit 20 Jahren starb und zwei kleine Söhne hinterließ, die ihr Erbe noch nicht antreten konnten, sah Karl die Chance gekommen, das Reich unter seiner Führung wieder zu einen. Karlmanns Witwe floh mit ihren beiden Kindern zu Desiderius, was wiederum Karl als Provokation empfand. Da für Karl das Bündnis mit Desiderius nicht mehr von Nutzen war, verstieß er seine Frau nach kurzer Ehe und schickte sie seinem Schwiegervater zurück.
Desiderius wollte Papst Hadrian I. dazu bewegen, Karlmanns Söhne zu fränkischen Königen zu salben. Doch das Kirchenoberhaupt verweigerte sich dem Ansinnen und rief Karl gegen die Langobarden zu Hilfe, die bereits Rom bedrohten. Karl marschierte an der Spitze eines fränkischen Heeres über die Alpen. Desiderius verschanzte sich in Pavia. Im September 773 begannen die Franken, die Stadt zu belagern. Am 4. Juni 774, nach quälenden neun Monaten, kapitulierte Desiderius. Er wurde mit seiner Frau ins Frankenreich deportiert, wo beide den Rest ihres Lebens in Klosterhaft verbrachten; sein Sohn Adelchis konnte nach Byzanz entkommen. Schon einen Tag nach der Eroberung Pavias nahm Karl den Titel »König der Langobarden« an, fortan nannte er sich »Rex Francorum et Langobardorum«.
Zwei Jahre später stürzte auch das Herzogtum Forum Iulii, vergebens verteidigt von seinem letzten Herzog Rotgaud. Die Stadt, nun Zentrum der östlichsten Region des Frankenreichs in Italien,
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