Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
prächtiger Gewänder hin, sondern auch ein mit Schmucksteinen besetztes Goldblattkreuz.
Solche wenige Zentimeter großen Kreuze aus dünnem Goldblech, oft verziert mit eingeprägten Figuren und Mustern, wurden an Schleier oder Leichentücher genäht, die auf die Gesichter der Verstorbenen gelegt wurden; sie zeugten davon, dass sich die Hingeschiedenen zum Christentum bekannt hatten. Außerdem bestatteten die Langobarden ihre Toten mit teilweise überaus kostbaren Grabbeigaben. In zahlreichen Gräbern rund um Cividale wurden prächtige Schwerter, Fibeln aus vergoldetem Silber mit Edelsteinen, Siegelringe und Münzen, Gürtelschnallen und Emaillearbeiten entdeckt.
Nördlich von Cividale, auf dem Hügel San Mauro, wurde Ende des 20. Jahrhunderts eine große langobardische Nekropole freigelegt. Einwanderer aus Pannonien und deren Nachfahren waren hier bis ins frühe 7. Jahrhundert bestattet worden. Eines dieser Gräber enthielt nicht nur die Gebeine eines mit seinen Waffen beerdigten Reiters, sondern auch das Skelett seines Pferdes, das bei der Bestattung geopfert worden war. Die Funde sind heute im Museo Archeologico Nazionale in Cividale zu sehen.
In der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts bestand die langobardische Gesellschaft noch überwiegend aus Kriegern. Allmählich wandelte sie sich in eine Gesellschaft von Händlern, Grundbesitzern und Bauern, was zu einem wirtschaftlichen Aufschwung führte. Auch das Rechtswesen im Langobardenreich wurde 643 durch ein Edikt des Königs Rothari auf eine neue Basis gestellt: Das bis dahin nur mündlich überlieferte Gewohnheitsrecht, das Gewaltdelikte vom abgeschnittenen Fuß bis zum durchbohrten Arm und zu ausgeschlagenen Schneidezähnen sanktionierte, wurde schriftlich fixiert – in lateinischer Sprache, aber durchsetzt von germanischen Begriffen wie »morth« (Mord) oder »grabworf« (Hinauswerfen der Leiche aus dem Grab).
Die germanische Sprache »verschwand zwar im Laufe des 7. Jahrhunderts allmählich als Folge eines Assimilationsprozesses«, wie der Althistoriker Bleckmann schreibt; »gleichwohl bildete sich unter den früheren Romanen, die viele langobardische Wörter in ihre Sprache übernahmen, und den beherrschenden Germanen allmählich ein langobardisches Staatsbewusstsein heraus«. Die einst als Barbaren Geschmähten passten sich kulturell, etwa in der Kleidung, den Römern an. Viele Langobarden blickten freilich noch lange hochmütig auf die romanische Mehrheit herab.
Solchen Dünkel hegte auch Patriarch Calixtus, der im Jahr 737 seine Residenz von Cormòns nach Forum Iulii verlegte. Dort residierte bereits der Bischof von Iulium Carnicum, einer Region, die von Slaweneinfällen heimgesucht worden war. Diesen Amator, seinen Untergebenen, wollte Calixtus nun aus der Stadt verbannen. »Es leuchtete ihm nicht ein, dass in seinem Zuständigkeitsbereich ein Bischof beim Herzog und den Langobarden wohnte, während er selbst nur unter dem einfachen Volk lebte«, berichtet Paulus Diaconus. Deshalb habe Calixtus Amator aus Forum Iulii vertrieben und sich dessen Haus angeeignet. Diese Eigenmächtigkeit jedoch habe den weltlichen Regenten des Ortes erzürnt. Herzog Pemmo habe den Patriarchen ergreifen und »zur Burg Pucinum, die über dem Meer liegt«, schaffen lassen. Dabei handelte es sich um das auf einem 40 Meter hohen Felsen erbaute alte Kastell Duino nahe Triest. Pemmo habe beabsichtigt, Calixtus »von dort ins Meer hinunterzustürzen, aber der Herr verhinderte diese Tat«. Doch der Herzog habe den Patriarchen »eingesperrt und ließ ihn im Gefängnis das Brot der Bitternis kosten«. Nun wurde die nächste Instanz aktiv. König Liutprand, der von 712 bis 744 regierte und den Paulus als einen »Mann von großer Weisheit« rühmt, war über die Inhaftierung des Calixtus »sehr zornig«; er »nahm Pemmo das Herzogtum und setzte dessen Sohn Ratchis an seine Stelle«.
Der befreite Patriarch kehrte nach Forum Iulii zurück und gab bei Steinmetzen ein eindrucksvolles Kunstwerk in Auftrag: ein achteckiges marmornes Taufbecken mit acht Säulen, die ein pyramidenförmiges Dach trugen. Das Taufbecken befand sich ursprünglich in einem Baptisterium vor dem heutigen Campanile, wurde dann in den Dom versetzt und schließlich über Jahrhunderte in einer Seitenkapelle aufbewahrt. Herzog Ratchis stiftete im Gedenken an seinen Vater Pemmo einen Altar für die Kirche San Giovanni. Der Eucharistietisch aus Karstgestein ist an allen vier Seiten mit Reliefs geschmückt, die einst bunt
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