Die Geschichte Der Kinder Hurins. Sonderausgabe.
die die Elben nicht gefunden haben und von denen die Menschen nichts wissen sollen.«
»Das kann schon sein«, sagte Túrin. »Trotzdem hat der Zwerg zumindest in einem Punkt die Wahrheit gesprochen, als er dich nämlich einen Narren nannte. Warum musst du aussprechen, was du denkst? Wenn dir schöne Worte schon nicht über die Lippen wollen, so ist unseren Absichten mit Schweigen besser gedient.«
Der Tag verlief friedlich, und keiner der Geächteten hatte das Verlangen, das Versteck zu verlassen. Túrin erkundete die grüne Bergmatte von einem Ende zum anderen, und er schaute hinaus nach Osten, Westen und Norden und war erstaunt, wie weit der Blick in der klaren Luft ging. So erschien der Wald von Brethil, der grün um den Amon Obel anstieg, ihm seltsam nah. Immer wieder wurde Túrins Blick davon angezogen; er wusste selbst nicht, warum. Sein Herz zog es nämlich eher in den Nordwesten, wo er viele Meilen entfernt am Rande des Himmels das Schattengebirge zu erkennen glaubte, die Berge seiner Heimat. Am Abend aber blickte Túrin nach Westen in die untergehende Sonne, wie sie rot im Dunst über den fernen Küsten versank, und das Tal des Narog dazwischen lag tief in Schatten.
So begann der Aufenthalt von Túrin, Húrins Sohn, in den Hallen Mîms, in Bar-en-Danwedh, dem Haus der Auslöse.
Lange Zeit verlief das Leben der Geächteten ganz nach ihrem Geschmack. An Nahrung war kein Mangel, und sie hatten einen warmen und trockenen Unterschlupf und ausreichend Raum zur Verfügung; denn es stellte sich heraus, dass die Höhlen zur Not hundert und mehr Männer hätten beherbergen können. Weiter im Höhleninnern gab es eine zweite kleinere Halle. Sie hatte an einer Seite eine Feuerstelle, von der ein Kamin nach oben durch den Fels zu einem Abzugsloch führte, das geschickt in einer Spalte des Berghangs verborgen war. Außerdem gab es zahlreiche weitere Gemächer, die sich zu den Hallen oder dem Gang dazwischen öffneten; einige dienten als Wohnräume, andere als Werkstätten oder Vorratskammern. Wenn es darum ging, Vorräte zu lagern, war Mîm weitaus findiger als sie, und er besaß viele Gefäße und Truhen aus Stein und Holz, die offenbar sehr alt waren. Doch die meisten der Gemächer standen jetzt leer: In den Waffenkammern hingen verrostete und staubige Äxte und anderes Gerät, die Borde und Schränke waren kahl und die Schmieden unbenutzt außer einer. Es war ein kleiner Raum, der an die innere Halle grenzte und dessen Feuerstelle den Kamin mit dem Herd in der Halle gemeinsam hatte. Dort arbeitete Mîm zuweilen, doch er erlaubte es anderen nicht, dabeizusein. Er erzählte ihnen auch nicht von einer geheimen verborgenen Treppe, die von seinem Haus zu der flachen Kuppe des Amon Rûdh führte. Andróg stieß darauf, als er vom Hunger getrieben nach Mîms Vorräten suchte und sich dabei in den Höhlen verirrte; doch er behielt diese Entdeckung für sich.
Für den Rest des Jahres unternahmen die Geächteten keine Raubzüge mehr, und wenn sie sich draußen aufhielten, um zu jagen oder Vorräte zu sammeln, teilten sie sich meist in kleine Gruppen auf. Aber lange taten sie sich schwer, den Rückweg zu finden, und außer Túrin fanden nur sechs Männer zu jeder Zeit den Weg. Da sie freilich befürchteten, dass andere, die geübter waren, ihr Versteck ohne Mîms Hilfe finden könnten, ließen sie jeden Tag und jede Nacht einen Mann bei der Felsspalte in der Nordwand Wache halten. Aus dem Süden erwarteten sie keine Feinde und glaubten auch nicht, dass jemand aus dieser Richtung kommend den Amon Rûdh erklettern könnte; aber tagsüber befand sich die meiste Zeit ein Wachtposten auf der Spitze der Bergkrone, der nach allen Seiten weite Sicht hatte. Obwohl die Hänge der Krone steil anstiegen, ließ sich der Gipfel erreichen; denn östlich vom Höhleneingang führten große, in den Fels geschlagene Stufen zu Hängen empor, über die man ungesehen hinaufsteigen konnte.
So verging das Jahr ohne Kämpfe oder Störungen. Als die Tage schließlich kürzer wurden und der Teich grau und kalt, die Birken ihre Blätter verloren und die Regenschauer zunahmen, mussten sie mehr Zeit im Schutz der Höhle verbringen. So wurden sie bald missmutig ob der Dunkelheit im Berginneren oder des trüben Dämmerlichts in den Hallen; und den meisten schien es, als würde es sich besser leben lassen, wenn sie diesen Ort nicht mit Mîm teilen müssten. Allzu oft tauchte er plötzlich aus einer dunklen Ecke oder ineinem Türeingang auf, wenn sie ihn
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