Die Geschichte Der Kinder Hurins. Sonderausgabe.
Geschenk verschmähst.«
Túrin, immer noch behext von den Augen des Drachen, glaubte seinen Worten, als habe er es mit einem Feind zu tun, der Mitleid kenne, und er wandte sich um und eilte über die Brücke. Doch während er lief, sprach Glaurung hinter ihm drein und sagte mit schrecklicher Stimme: »Spute dich nun, Húrins Sohn, auf nach Dor-lómin! Oder sollen vielleicht die Orks dir zuvorkommen, wie schon einmal? Und wenn du um Finduilas’ willen säumst, so sollst du Morwen oder Nienor nie wiedersehen, und sie werden deinen Namen verfluchen.«
Doch Túrin zog davon auf der Straße nach Norden, und Glaurung lachte abermals, denn er hatte den Auftrag seines Herrn erfüllt. Dann ergab er sich der eigenen Lust und spie Flammen und verbrannte alles um sich her. Alle Orks aber, die noch mit dem Plündern zugange waren, trieb er ins Freie und jagte sie davon; denn er gönnte ihnen nicht das kleinste Stück von ihrem Raub. Dann riss er die Brücke ein und warf sie in den schäumenden Narog, und nachdem er auf diese Weise sicher war, fegte er alle Schätze und Reichtümer Felagunds auf einen Haufen und legte sich in der innersten Halle darauf nieder, um eine Weile zu ruhen.
Túrin aber eilte die Wege nach Norden entlang, durch die nun verwüsteten Lande zwischen Narog und Teiglin; und der Grausame Winter kam ihm entgegen, denn in je-
nem Jahr fiel Schnee, ehe der Herbst noch vorüber war, und der Frühling kam verspätet und kalt. Immer war es ihm, als hörte er hinter jedem Wald und Hügel Finduilas’ Stimme seinen Namen rufen, und groß war seine Qual. Doch da sein Herz noch heiß war von Glaurungs Lügen und er stets im Geiste vor sich sah, wie die Orks Húrins Haus niederbrannten oder Morwen und Nienor peinigten, blieb er seinem Vorhaben treu und lief weiter Richtung Norden.
KAPITEL 12
DIE RÜCKKEHR TÚRINS
NACH DOR-LÓMIN
S chließlich, erschöpft von der Eile und dem langen Weg (denn er war vierzig Meilen und mehr gelaufen, ohne zu rasten), kam Túrin mit dem ersten Eis des Winters zu den Weihern von Ivrin, wo er zuvor geheilt worden war. Doch jetzt waren sie nur noch ein gefrorener Sumpf, und er konnte dort nicht mehr trinken.
Von dort gelangte er zu den Pässen, die nach Dor-lómin führten. Der Schnee kam bitterkalt aus dem Norden, und die Wege waren vereist und gefährlich. Obwohl dreiundzwanzig Jahre vergangen waren, seit er diesen Pfad gegangen war,hatte er sich ihm tief eingeprägt; so groß war der Schmerz bei jedem Schritt gewesen, mit dem er sich von Morwen entfernt hatte. So kehrte er schließlich in das Land seiner Kindheit zurück. Es war öde und kahl, und die wenigen Menschen dort waren unfreundlich, und sie sprachen die raue Sprache der Ostlinge; denn die alte Sprache war die Sprache von Sklaven oder von Feinden geworden. Deshalb war Túrin auf der Hut, ging vermummt und schweigsam, und so kam er schließlich zu dem Haus, das er suchte. Es stand leer und dunkel, und nichts Lebendiges war in seiner Nähe. Morwen war fort, und Brodda, der Eindringling (der Aerin, Húrins Verwandte, gezwungen hatte, sein Weib zu werden), hatte ihr Haus geplündert und alles geraubt, was ihr an Gütern und Dienerschaft geblieben war. Broddas Haus stand dem alten Hause Húrins am nächsten, und dorthin kam Túrin, von der Reise erschöpft und von Schmerz verzehrt, und bat um Obdach. Es wurde ihm gewährt, denn einige der guten Sitten von einst wurden von Aerin dort noch bewahrt. Man wies ihm einen Platz am Feuer unter den Knechten und einigen Bettlern an, die beinahe genauso grimmig und abgerissen aussahen wie er, und er fragte sie nach Neuigkeiten aus dem Land.
Da verfiel die Gesellschaft in Schweigen, und einige wandten sich ab und blickten den Fremdling misstrauisch an. Aber ein alter Bettler mit einer Krücke sagte: »Wenn du unbedingt die alte Sprache sprechen musst, Meister, sprich leiser und frage nicht nach Neuigkeiten. Willst du als Strolch verprügelt oder als Spion gehängt werden? Deinem Aussehen nach könntest du nämlich beides sein. Was nichts anderes heißt«, sagte er und rückte näher, um leise in Túrins Ohr zu sprechen, »als einer von dem guten Volk von einst,das in den goldenen Tagen mit Hador kam, bevor die Köpfe Wolfshaar trugen. Einige hier sind von gleicher Art, wenn sie jetzt auch zu Bettlern und Sklaven gemacht worden sind, und ohne Frau Aerin hätten sie weder dieses Feuer noch dieses Brot. Woher kommst du, und was willst du wissen?«
»Es gab da eine Frau namens Morwen«,
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