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Die Geschichte der Liebe (German Edition)

Die Geschichte der Liebe (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Liebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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Kaninchenfleisch genannt hatte. Ich hatte nicht nach seinem Namen gefragt, aber er kannte meinen und meine Adresse, weil ich ein Formular ausfüllen musste. Vielleicht hatte er etwas gefunden – eine Akte oder eine Urkunde. Vielleicht dachte er auch, ich sei älter als fünfzehn.

 
    Es gab eine Zeit, da lebte ich im Wald oder in den Wäldern, Plural. Ich aß Würmer. Ich aß Käfer. Ich aß alles, was ich in den Mund stecken konnte. Manchmal wurde mir übel. Mein Magen war verkorkst, aber ich brauchte etwas zu kauen. Ich trank Wasser aus Pfützen. Schnee. Alles, was ich kriegen konnte. Manchmal schlich ich mich in die Kartoffelkeller der Bauern in der Umgebung ihrer Dörfer. Das waren gute Verstecke, weil sie im Winter etwas wärmer waren. Aber es gab Nagetiere dort. Was heißt schon rohe Ratten essen – ja, ich habe es getan. Offenbar wollte ich dringend weiterleben. Und es gab nur einen Grund: sie.
    Die Wahrheit ist, dass sie mir gesagt hat, sie könne mich nicht lieben. Als sie adieu sagte, sagte sie es für immer.
    Und doch.
    Ich tat alles, um zu vergessen. Warum, weiß ich nicht. Ich frage mich noch immer. Aber ich tat’s.

 
    Vielleicht war er auch von dem alten Mann, dem jüdischen Angestellten aus dem Ordnungsamt in der 1 Centre Street. Er hatte so ausgesehen, als könnte er ein Leopold Gursky sein. Vielleicht wusste er etwas über Alma Moritz, über Isaac oder Die Geschichte der Liebe.

 
    Ich erinnere mich, wie mir zum ersten Mal bewusst wurde, dass ich mich dazu bringen konnte, etwas zu sehen, was nicht da war. Ich war zehn Jahre alt, auf dem Heimweg von der Schule. Einige Jungen aus meiner Klasse rannten lärmend und lachend vorbei. Ich wollte so sein wie sie. Und doch. Ich wusste nicht, wie. Ich hatte mich immer anders gefühlt als die anderen, und das Anderssein tat weh. Und dann bog ich um die Ecke und sah ihn. Einen riesigen Elefanten, der allein auf dem Platz stand. Ich wusste, ich bildete ihn mir ein. Und doch. Ich wollte daran glauben.
    Also versuchte ich es.
    Und merkte, ich konnte es.

 
    Vielleicht war der Brief auch von dem Portier des Gebäudes 450 East 52 nd Street. Vielleicht hatte er Isaac nach der Geschichte der Liebe gefragt. Vielleicht hatte Isaac meinen Namen wissen wollen. Vielleicht hatte er, bevor er starb, herausbekommen, wer ich war, und dem Portier etwas gegeben, was er mir geben sollte.

 
    Nach dem Tag, da ich den Elefanten sah, ließ ich mich immer mehr sehen und glauben. Es war ein Spiel, das ich mit mir spielte. Wenn ich Alma von den Sachen erzählte, die ich sah, lachte sie und sagte, sie liebe meine Phantasie. Für sie verwandelte ich Kieselsteine in Diamanten, Schuhe in Spiegel, Glas in Wasser; ich machte ihr Flügel und zog ihr Vögel aus den Ohren, und sie fand die Federn in ihren Taschen; ich ließ eine Birne eine Ananas, die Ananas eine Glühbirne, die Glühbirne den Mond und den Mond eine Münze werden, die ich, Kopf oder Zahl, um ihre Liebe warf. Beide Seiten waren Kopf: Ich wusste, ich konnte nicht verlieren.
    Und jetzt, am Ende meines Lebens, kann ich kaum mehr unterscheiden zwischen dem, was wirklich ist und was ich glaube. Dieser Brief in meiner Hand zum Beispiel – ich kann ihn zwischen den Fingern fühlen. Das Papier ist glatt, außer in den Kniffen. Ich kann ihn auf- und wieder zufalten. So sicher ich jetzt hier sitze, so sicher existiert dieser Brief.
    Und doch.
    Im Herzen weiß ich, meine Hand ist leer.

 
    Vielleicht war der Brief auch von Isaac selbst, und er hatte ihn vor seinem Tod geschrieben. Vielleicht war Leopold Gursky eine weitere Figur in seinem Buch. Vielleicht gab es Dinge, die er mir sagen wollte. Und jetzt war es zu spät – wenn ich morgen hinginge, wäre die Parkbank leer.

 
    Es gibt so viele Arten zu leben, aber nur eine Art, tot zu sein. Ich nahm die entsprechende Körperhaltung ein. Ich dachte: Wenigstens wird man mich hier finden, bevor ich das ganze Haus verstinke. Nachdem Mrs.   Freid gestorben und drei Tage nicht gefunden worden war, hatten sie Zettel unter unseren Türen durchgeschoben, auf denen stand: BITTE HALTEN SIE IHRE FENSTER HEUTE GEÖFFNET. DIE HAUSVERWALTUNG. Und so genossen wir alle ein bisschen Frischluft dank Mrs.   Freid, die ein langes Leben gelebt hatte, mit vielen seltsamen Windungen, die sie sich als Kind nicht im Traum hätte vorstellen können, und es mit einem letzten Gang beschloss, der sie in den Lebensmittelladen führte, eine Schachtel Kekse kaufen, die sie noch nicht geöffnet hatte, als

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