Die Geschichte der Liebe (German Edition)
BEMÜHUNGEN.
Wegen dieser Frau, die es satt hatte, auf ihren Soldaten zu warten, lebte ich weiter. Er hätte nur im Heu zu stochern brauchen, um zu merken, dass nichts darunter war; hätte er nicht so viel im Kopf gehabt, wäre ich entdeckt worden. Manchmal frage ich mich, was wohl aus ihr geworden ist. Ich stelle mir gern vor, wie sie sich das erste Mal vorbeugte, um den Fremden zu küssen, wie sie gespürt haben muss, dass sie sich in ihn verliebte oder vielleicht nur ihrer Einsamkeit entfloh, und es war, wie wenn ein winziges Nichts eine Naturkatastrophe auf der anderen Seite der Welt auslöst, nur dass es diesmal das Gegenteil einer Katastrophe war, wie sie mich zufällig durch diesen gedankenlosen Gnadenakt gerettet hat und es nie erfuhr, und dass auch das ein Teil der Geschichte der Liebe ist.
Ich stand vor ihm.
Er schien es kaum zu merken.
Ich sagte: «Ich heiße Alma.»
Und da sah ich sie. Seltsam, was der Geist alles kann, wenn das Herz die Richtung weist. Sie sah anders aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Und doch. Genau so. Die Augen: Daran erkannte ich sie. Ich dachte: So schicken sie dir also den Engel. In das Alter versetzt, in dem sie dich am meisten liebte.
Hast du eine Ahnung, sagte ich. Mein Lieblingsname.
Ich sagte: «Ich bin nach jedem Mädchen in einem Buch benannt, das Die Geschichte der Liebe heißt.»
Ich sagte: Ich habe dieses Buch geschrieben.
«Oh», sagte ich. «Im Ernst. Es ist ein wirkliches Buch.»
Ich spielte mit. Ich sagte: Ernster könnte ich nicht sein.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Er war so alt. Vielleicht machte er Spaß, oder er war verwirrt. Konversationshalber sagte ich: «Sind Sie Schriftsteller?»
Er sagte: «Gewissermaßen.»
Ich fragte nach den Titeln der Bücher, die er geschrieben habe. Er sagte, Die Geschichte der Liebe sei einer und Wörter für alles ein weiterer.
«Seltsam», sagte ich. «Vielleicht gibt es zwei Bücher, die Die Geschichte der Liebe heißen.»
Er sagte nichts. Seine Augen glänzten.
«Das, von dem ich spreche, wurde von einem Zvi Litvinoff geschrieben», sagte ich. «Er schrieb es auf Spanisch. Mein Vater hat es meiner Mutter geschenkt, als sie sich kennen lernten. Dann ist mein Vater gestorben, und sie hat es weggelegt bis vor ungefähr acht Monaten, als jemand sie bat, es zu übersetzen. Jetzt ist sie bald fertig, es sind nur noch ein paar Kapitel. In dem Buch, das ich meine, gibt es ein Kapitel mit der Überschrift ‹Das Stummzeitalter› und eines mit der Überschrift ‹Die Geburt des Gefühls› und eines mit –»
Der älteste Mann der Welt lachte.
Er sagte: «Was erzählst du mir da, dass du auch in Zvi verliebt warst? Nicht genug damit, dass du mich geliebt hast, und dann mich und Bruno, und dann nur Bruno, und nun sollen es weder Bruno noch ich gewesen sein?»
Langsam wurde ich nervös. Vielleicht war er verrückt. Oder einfach einsam.
Es wurde dunkel.
Ich sagte: «Tut mir leid. Ich verstehe kein Wort.»
Ich merkte, dass ich sie erschreckt hatte. Ich wusste, zum Streiten war es zu spät. Sechzig Jahre waren vergangen.
Ich sagte: Verzeih mir. Sag mir, welche Teile dir gefallen haben. Wie fandest du die «Glaszeit»? Ich wollte dich zum Lachen bringen.
Sie riss die Augen auf.
Auch zum Weinen.
Jetzt wirkte sie erschreckt und überrascht zugleich.
Und dann dämmerte es mir.
Es schien unmöglich.
Und doch.
Was, wenn die Dinge, die ich für möglich hielt, in Wirklichkeit unmöglich waren, und die, die ich unmöglich wähnte, es in Wirklichkeit nicht waren?
Zum Beispiel.
Was, wenn dieses Mädchen neben mir auf der Bank wirklich war?
Was, wenn sie Alma hieß, nach meiner Alma?
Was, wenn mein Buch gar nicht bei einer Überschwemmung verloren gegangen war?
Was, wenn –
Ein Mann ging vorbei.
Entschuldigen Sie, sprach ich ihn an.
Ja? , sagte er.
Sitzt hier jemand neben mir?
Der Mann schien verwirrt.
Ich verstehe nicht , sagte er.
Ich auch nicht , sagte ich. Würden Sie mir die Frage bitte beantworten?
Ob jemand neben Ihnen sitzt? , sagte er.
Genau, das möchte ich wissen.
Und er sagte: Ja.
Also sagte ich: Ist es ein Mädchen, fünfzehn, sechzehn vielleicht, oder womöglich auch frühreife vierzehn?
Er lachte und sagte: Ja.
Ja als das Gegenteil von nein?
Als das Gegenteil von nein , sagte er.
Danke, sagte ich.
Er ging weiter.
Ich wandte mich ihr zu.
Es stimmte. Sie war mir vertraut. Und doch. Sie sah nicht sehr wie meine Alma aus, jetzt, wo ich
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