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Die Geschichte der Liebe (German Edition)

Die Geschichte der Liebe (German Edition)

Titel: Die Geschichte der Liebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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gelernt. Er und Mom tanzten die ganze Zeit. Er rückte den Kaffeetisch an die Wand, und dann ging es durch den ganzen Raum. Er hob sie, schwang sie und sang ihr ins Ohr.» – «War ich da dabei?» – «Klar warst du dabei», sagte ich. «Er warf dich in die Luft und fing dich wieder auf.» – «Wie wollte er wissen, dass er mich nicht fallen lassen würde?» – «Er wusste es einfach.» – «Wie nannte er mich?» – «Ganz verschieden. Kumpel, kleiner Mann, Kasper.» Ich sprach aus, was mir eben in den Sinn kam. Bird schien unbeeindruckt. «Judas Makkabäus», sagte ich. «Einfach Makkabi. Mac.» – «Wie nannte er mich meistens ?» – «Ich nehme an, Emanuel.» Ich tat so, als dächte ich nach. «Nein, warte. Manny. Meistens nannte er dich Manny.» – «Manny» , sagte Bird zur Probe. Er kuschelte sich dichter an mich. «Ich möchte dir ein Geheimnis erzählen», flüsterte er. «Weil du Geburtstag hast.» – «Was?» – «Erst musst du versprechen, dass du mir glaubst.» – «In Ordnung.» – «Sag: Ich verspreche es.» – «Ich verspreche es.» Er holte tief Atem. «Ich glaube, ich könnte vielleicht ein lamed wownik sein.» – «Ein was?» – «Einer von den lamed wowniks », flüsterte er. «Den sechsunddreißig Gerechten.» – «Was für Gerechte?» – «Die, von denen die Existenz der Welt abhängt.» – «Ach die . Sei nicht …» – «Du hast es versprochen», sagte Bird. Ich sagte nichts. «Es gibt immer sechsunddreißig zu einer Zeit», flüsterte er. «Niemand weiß, wer sie sind. Nur ihre Gebete erreichen Gottes Ohr. Sagt Mr.   Goldstein.» – «Und du glaubst, du könntest einer von ihnen sein», sagte ich. «Was sagt Mr.   Goldstein sonst noch?» – «Er sagt, wenn der Messias kommt, wird er ein lamed wownik sein. In jeder Generation gibt es einen Menschen, der die Fähigkeit besitzt, der Messias zu sein. Vielleicht schafft er es, vielleicht nicht. Vielleicht ist die Welt bereit für ihn, vielleicht nicht. Das ist alles.» Ich lag im Dunkeln und überlegte, was zu sagen nun angebracht wäre. Ich bekam Bauchweh.
    26. DIE SITUATION WURDE LANGSAM KRITISCH
Am nächsten Samstag steckte ich Das Leben, wie wir es nicht kennen in meinen Rucksack und nahm die U-Bahn zur Columbia-Universität. Ich lief eine Dreiviertelstunde auf dem Campus herum, bis ich Eldridges Büro im Gebäude für Geowissenschaften fand. Als ich ankam, sagte der Fast Food futternde Sekretär, Dr.   Eldridge sei nicht da. Ich sagte, ich würde warten, und er sagte, ich solle vielleicht besser ein andermal kommen, Dr.   Eldridge sei mindestens noch für ein paar Stunden weg. Ich sagte, das mache mir nichts. Er widmete sich wieder seinem Essen. Während ich wartete, las ich eine ganze Nummer der Zeitschrift Fossil . Dann fragte ich den Sekretär, der laut über etwas auf seinem Computer lachte, ob er glaube, dass Dr.   Eldridge nun bald zurück sei. Er hörte auf zu lachen und sah mich an, als hätte ich ihm gerade den wichtigsten Moment seines Lebens verpatzt. Ich setzte mich wieder hin und las eine ganze Nummer von Paleontologist Today .
Ich wurde hungrig, also ging ich den Flur hinunter und holte mir ein Päckchen Devil Dogs aus einem Automaten. Dann schlief ich ein. Als ich aufwachte, war der Sekretär gegangen. Die Tür zu Dr.   Eldriges Büro stand offen, das Licht brannte. Drinnen stand ein sehr alter, weißhaariger Mann neben einem Aktenschrank unter einem Poster mit den Worten: DARUM OHNE ELTERN, DURCH SPONTANE GEBURT, ENTSPRINGEN DIE ERSTEN PARTIKEL BELEBTER ERDE – ERASMUS DARWIN .
«Nun, um ehrlich zu sein, an diese Möglichkeit hatte ich gar nicht gedacht», sagte der alte Mann ins Telefon. «Ich zweifle, ob er sich überhaupt bewerben will. Jedenfalls glaube ich, wir haben unseren Mann schon. Ich muss mit dem Fachbereich reden, aber sagen wir, die Sache sieht gut aus.» Er sah mich an der Tür stehen und deutete mit einer Geste an, er sei gleich fertig. Ich wollte sagen: Schon gut, ich warte auf Dr.   Eldridge, aber er kehrte mir den Rücken zu und starrte aus dem Fenster. «Gut, schön zu hören. Ich muss mich beeilen. In Ordnung. Alles Gute. Bis dann.» Er wandte sich mir zu. «Tut mir furchtbar leid», sagte er. «Womit kann ich helfen?» Ich kratzte mich am Arm und bemerkte den Schmutz unter meinen Fingernägeln. «Sie sind nicht Dr.   Eldridge, oder?», fragte ich. «Doch, der bin ich», sagte er. Mir wurde ganz blümerant. Seit der Entstehung des Fotos auf dem Buch mussten dreißig Jahre

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