Die Geschichte der Liebe (German Edition)
einen grünen Papagei namens Gordo, der ihm auf der Schulter hockte und verdrossen aus dem Fenster starrte. Er hatte auch einen Leguan, zwei Frettchen, eine Dosenschildkröte, Baumfrösche, eine Ente mit gebrochenem Flügel und eine Boa constrictor namens Mahatma, die sich kürzlich gehäutet hatte. Im Garten hinter seinem Haus hielt er zwei Lamas. Nach der Stunde, während alle anderen mit Mahatma zugange waren, fragte ich, ob er verheiratet sei, und als er mit verdutzter Miene nein sagte, bat ich um seine Visitenkarte. Darauf war ein Bild von einem Affen, und einige Kids verloren das Interesse an der Schlange und wollten auch Visitenkarten haben.
Am Abend fand ich einen attraktiven Schnappschuss von meiner Mutter im Speedo-Schwimmanzug als Beilage zu einer getippten Liste ihrer besten Eigenschaften, die Dr. Frank Tucci geschickt bekommen sollte. Die Liste enthielt: HOHER IQ, LESERATTE, ATTRAKTIV (SIEHE FOTO), WITZIG. Bird las sie durch und schlug nach einigem Grübeln vor, ich solle EIGENBRÖTLERISCH hinzufügen, ein Wort, das ich ihm beigebracht hatte, und dann noch STUR. Als ich sagte, ich glaubte nicht, dass dies ihre besten oder auch nur gute Eigenschaften seien, meinte Bird, wenn sie auf der Liste wären, könnte es scheinen , als seien es gute, und wenn Dr. Tucci sie dann treffen wolle, würde es ihn nicht stören. Das schien damals ein gutes Argument, also fügte ich EIGENBRÖTLERISCH und STUR hinzu. Dann schickte ich die Liste ab.
Eine Woche verging, und er rief nicht an. Noch einmal drei Tage, und ich fragte mich, ob ich EIGENBRÖTLERISCH und STUR vielleicht doch nicht hätte hinschreiben sollen.
Am nächsten Tag klingelte das Telefon, und ich hörte meine Mutter sagen: «Frank wer?» Es folgte ein langes Schweigen. «Wie bitte?» Wieder Schweigen. Dann begann sie hysterisch zu lachen. Sie legte den Hörer auf und kam in mein Zimmer. «Was war denn das?», fragte ich in aller Unschuld. «Was soll was gewesen sein?», fragte sie noch unschuldiger. «Wer da eben angerufen hat», sagte ich. «Ach das », sagte sie. «Ich hoffe, du hast nichts dagegen, ich habe ein Doppel arrangiert, ich und der Schlangenbeschwörer und du und Herman Cooper.»
Herman Cooper war ein Albtraum aus der Achten, der bei uns um die Ecke wohnte, jedem Pimmel hinterherrief und über die dicken Eier unseres Nachbarhundes johlte.
«Eher lecke ich den Bordstein ab», sagte ich.
22. IN DIESEM JAHR TRUG ICH DEN PULLOVER MEINES VATERS ZWEIUNDVIERZIG TAGE LANG AM STÜCK
Am zwölften Tag ging ich auf dem Schulflur an Sharon Newman und ihren Freundinnen vorbei. «WAS HAT SIE NUR MIT DIESEM EKLIGEN PULLOVER?», sagte sie. Geh Schierling fressen, dachte ich und beschloss, Dads Pullover den Rest meines Lebens zu tragen. Ich schaffte es fast bis zum Ende des Schuljahres. Er war aus Alpakawolle, und Mitte Mai wurde er unerträglich. Meine Mutter glaubte, es sei verspätete Trauer. Aber ich hatte nicht vor, irgendwelche Rekorde aufzustellen. Ich mochte nur, wie er sich anfühlte.
23. MEINE MUTTER HAT EIN FOTO MEINES VATERS AN DER WAND NEBEN IHREM SCHREIBTISCH AUFGEHÄNGT
Ein- oder zweimal ging ich an ihrer Tür vorbei und hörte sie laut mit ihm sprechen. Mag sein, dass sie sich einsam fühlt, obwohl wir um sie sind, aber manchmal bekomme ich Bauchweh, wenn ich daran denke, was aus meiner Mutter werden soll, wenn ich größer bin und fortgehe, um den Rest meines Lebens zu beginnen. Andere Male stelle ich mir vor, ich würde es überhaupt nie fertig bringen fortzugehen.
24. ALLE FREUNDE, DIE ICH JEMALS HATTE, SIND VERSCHWUNDEN
An meinem vierzehnten Geburtstag weckte Bird mich auf, indem er auf mein Bett sprang und «For She’s a Jolly Good Fellow» sang. Er schenkte mir einen geschmolzenen Hershey’s-Schokoriegel und eine rote Wollmütze, die er aus dem Fundbüro mitgebracht hatte. Ich zupfte ein lockiges blondes Haar ab und trug sie den Rest des Tages. Meine Mutter schenkte mir einen Anorak, getestet von Tenzing Norgay – dem Sherpa, der zusammen mit Edmund Hillary den Mount Everest bestiegen hat –, und eine alte lederne Pilotenkappe von der Art, wie mein Held Antoine de Saint-Exupéry sie zu tragen pflegte. Als ich sechs war, hatte mir mein Vater Der Kleine Prinz vorgelesen und von Saint-Ex erzählt, was für ein großer Pilot er gewesen sei und dass er sein Leben aufs Spiel gesetzt habe, um der Post den Weg an entlegene Orte zu erschließen. Am Ende wurde er von einem deutschen Jäger abgeschossen und ging mit seinem Flugzeug für
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