Die Geschichte der Liebe (German Edition)
mit Strümpfen und Lederhandschuhen nach ihm suchte, spazierte er durch eine Ulmenallee. Dass er in der Zeit, bis Rosa einen Geschäftsführer gefunden hatte und über den Lautsprecher eine Durchsage gemacht wurde – Mr. Z. Litvinoff, Ihre Frau erwartet Sie in der Damenschuhabteilung, Mr. Z. Litvinoff, bitte in die Damenschuhabteilung –, einen See erreichte und beobachtete, wie ein Boot mit einem rudernden jungen Paar dicht an das Schilf heranfuhr, hinter dem er stand, und das Mädchen in dem Glauben, verborgen zu sein, ihre Bluse aufknöpfte, um zwei weiße Brüste zu enthüllen. Dass der Anblick dieser Brüste in Litvinoffs Gewissen brannte und er durch den Park zurückeilte ins Kaufhaus, wo er Rosa – hochroten Kopfes und mit nass geschwitztem Nackenhaar – auf zwei Polizisten einredend fand. Dass er, als Rosa die Arme um ihn schlang, ihm sagte, er habe sie halb zu Tode erschreckt, und fragte, wo um Himmels willen er gewesen sei, erklärte, er sei zur Toilette gegangen und habe sich in der Kabine eingeschlossen. Dass die Litvinoffs später, in einer Hotelbar, den einzigen Lektor trafen, der sie hatte sehen wollen, einen nervösen Mann mit einem dünnen Lachen und nikotingebeizten Fingern, der ihnen sagte, obwohl das Buch ihm sehr gefalle, könne er es nicht veröffentlichen, weil niemand es kaufen würde. Zum Zeichen seiner Wertschätzung schenkte er ihnen ein Buch, das sein Verlag gerade herausgebracht hatte. Nach einer Stunde entschuldigte er sich, sagte, er sei zum Essen eingeladen, hastete hinaus und überließ den Litvinoffs die Rechnung.
In dieser Nacht, nachdem Rosa eingeschlafen war, schloss Litvinoff sich wirklich in der Toilette ein. Er tat das fast jede Nacht, weil ihm der Gedanke peinlich war, seine Frau müsste sein Geschäft riechen. Während er auf dem Klo saß, las er die erste Seite des Buches, das der Lektor ihnen geschenkt hatte. Und er weinte.
Es ist nicht bekannt, dass Litvinoffs Lieblingsblume die Pfingstrose war. Dass sein liebstes Satzzeichen das Fragezeichen war. Dass er schreckliche Träume hatte und, wenn überhaupt, nur mit einem Glas warmer Milch einschlafen konnte. Dass er sich oft seinen eigenen Tod vorstellte. Dass er glaubte, die Frau, die ihn liebte, tue es zu Unrecht. Dass er Plattfüße hatte. Dass er am liebsten Kartoffeln aß. Dass er sich gern als Philosophen dachte. Dass er alle Dinge, auch die einfachsten, endlos hinterfragte und, wenn ihm auf der Straße jemand entgegenkam, der seinen Hut zog und «Guten Tag» sagte, oft so lange brauchte, den Sachverhalt abzuwägen, dass der andere, bis er sich zu einer Antwort durchrang, seiner Wege gegangen war und er allein dastand. All das war in Vergessenheit geraten wie so vieles über so viele, die geboren werden und sterben, ohne dass sich jemals jemand die Zeit nähme, es alles aufzuschreiben. Dass Litvinoff eine Frau hatte, die ihm so treu ergeben war, ist ehrlich gesagt der einzige Grund, warum überhaupt irgendjemand etwas von ihm weiß.
Ein paar Monate nachdem das Buch bei einem kleinen Verlag in Santiago erschienen war, bekam Litvinoff ein Päckchen zugeschickt. In dem Augenblick, als der Postbote auf die Klingel drückte, schwebte Litvinoffs Federhalter über einem leeren Blatt Papier, ihm standen Tränen in den Augen; bewegt von einer plötzlichen Erkenntnis, war er erfüllt von dem Gefühl, er sei gerade im Begriff, etwas Wesentliches zu begreifen. Aber als es klingelte, ging der Gedanke verloren, und Litvinoff, wieder wie gewohnt, schlurfte durch den dunklen Flur und öffnete die Tür, vor der im Sonnenlicht der Briefträger stand. «Guten Tag», sagte er, indem er ihm ein großes, säuberlich in einen braunen Umschlag gepacktes Päckchen überreichte, und Litvinoff brauchte den Sachverhalt nicht lange abzuwägen, um den Schluss zu ziehen, dass der Tag, der einen Moment zuvor gerade im Begriff gewesen war, wunderbar zu werden, besser als er sich erhoffen konnte, plötzlich eine andere Richtung genommen hatte, wie ein Unwetter am Horizont. Das bestätigte sich, als Litvinoff das Päckchen öffnete und die Satzvorlage der Geschichte der Liebe mit folgendem Begleitbrief seines Verlegers fand: Das abgesetzte Manuskript wird von uns nicht mehr benötigt und geht hiermit an Sie zurück. Litvinoff zuckte zusammen, nicht wissend, dass das redigierte Manuskript üblicherweise an den Autor zurückging. Er fragte sich, ob das Rosas Meinung über das Buch beeinflussen würde. Da er es nicht herausfinden wollte,
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