Die Geschichte der Liebe (German Edition)
verbrannte er den Brief samt dem, was ohnehin nicht mehr benötigt wurde, und verfolgte das Zischen und Sichringeln des verglühenden Papiers im offenen Kamin. Als seine Frau vom Einkaufen zurückkehrte, die Fenster aufriss, um Licht und frische Luft hereinzulassen, und fragte, warum er an einem so wunderschönen Tag Feuer gemacht habe, zuckte Litvinoff die Achseln und klagte über eine Erkältung.
Von den zweitausend gedruckten Exemplaren der Erstauflage der Geschichte der Liebe wurden einige gekauft und gelesen, viele wurden gekauft und nicht gelesen, einige verblichen in den Schaufenstern der Buchhandlungen, wo sie Fliegen als Landeplatz dienten, in einigen wurde mit Bleistift unterstrichen, und recht viele landeten in der Papierpresse, wo sie zusammen mit anderen ungelesenen oder ungewollten Büchern zu Brei geschreddert, ihre Sätze in den sausenden Messern der Maschine zerlegt und zerkleinert werden. Aus dem Fenster starrend, stellte Litvinoff sich die zweitausend Exemplare der Geschichte der Liebe als einen Schwarm von zweitausend Brieftauben vor, die mit den Flügeln schlagen, zu ihm zurückkehren und berichten konnten über die Zahl der vergossenen Tränen, der Lacher, der laut vorgelesenen Stellen, wie oft der Buchdeckel nach kaum einer Seite Lesen brutal zugeschlagen worden war, wie viele überhaupt nie aufgeschlagen wurden.
Er konnte es nicht wissen, aber unter den Exemplaren der Erstausgabe der Geschichte der Liebe (nach Litvinoffs Tod flackerte das Interesse wieder auf, und das Buch wurde mit Rosas Einleitung kurzfristig nachgedruckt) war mindestens eines dazu bestimmt, ein Leben zu verändern – mehr als ein Leben. Dieses besondere Buch lag, Feuchtigkeit aufsaugend, länger als der Rest in einem Lagerhaus am Stadtrand von Santiago. Von dort wurde es schließlich an einen Buchladen in Buenos Aires geschickt. Der nachlässige Besitzer beachtete es kaum, und so schmachtete es einige Jahre im Regal und setzte quer über den Umschlag ein Muster aus Stockflecken an. Es war ein schmaler Band und sein Platz auf dem Regal nicht unbedingt der beste: Zur Linken von der übergewichtigen Biographie einer unbedeutenden Schauspielerin bedrängt, zur Rechten vom einstigen Bestseller eines inzwischen vergessenen Autors, war sein Rücken auch für den gründlichsten Stöberer kaum zu sehen. Als der Laden den Besitzer wechselte, fiel es einer Ausmistung zum Opfer und wurde abtransportiert in ein weiteres Lagerhaus, stickig, schmuddelig, von Weberknechten wimmelnd, wo es im Dunkeln und Feuchten blieb, bis es endlich in ein kleines Antiquariat kam, nicht weit entfernt von der Wohnung des Schriftstellers Jorge Luis Borges.
Die Besitzerin ließ sich Zeit mit dem Auspacken der Bücher, die sie billig und en gros vom Lagerhaus erworben hatte. Eines Morgens, als sie in den Kisten wühlte, entdeckte sie das stockfleckige Exemplar der Geschichte der Liebe. Sie hatte noch nie davon gehört, aber der Titel stach ihr ins Auge. Sie legte es beiseite, und in einer ruhigen Stunde, als im Laden nichts los war, las sie das erste Kapitel mit der Überschrift «Das Stummzeitalter»:
Die erste Sprache der Menschen waren Gesten. Diese Sprache, die ihnen aus den Händen floss, hatte nichts Primitives an sich, nichts von dem, was wir heute sagen, konnte mit dem endlosen Aufgebot an Bewegungen, die mit den feinen Knochen der Finger und Handgelenke möglich waren, nicht gesagt werden. Die komplexen und subtilen Gesten verlangten ein zartes Gespür für Bewegungen, das seither vollständig verloren gegangen ist.
Während der Stummzeit kommunizierten die Menschen mehr, nicht weniger. Um das bloße Überleben zu gewährleisten, durften die Hände fast nie still halten, und so geschah es nur im Schlaf (und manchmal nicht einmal dann), dass die Leute nicht dieses oder jenes sagten. Es wurde nicht zwischen sprachlichen Gesten und lebensnotwendigen Handgriffen unterschieden. Die Arbeit, sagen wir, ein Haus zu bauen oder eine Mahlzeit zuzubereiten, war ebenso gut ein Ausdruck wie der, das Zeichen für Ich liebe dich oder Ich meine es ernst zu machen. Wenn eine Hand schützend vors Gesicht gehalten wurde, weil jemand über ein lautes Geräusch erschrak, wurde etwas gesagt, und wenn Finger aufhoben, was jemand hatte fallen lassen, wurde etwas gesagt, und sogar wenn die Hände ruhten, sagte das etwas. Natürlich gab es Missverständnisse. Es konnte sein, dass ein Finger gehoben worden war, um an einer Nase zu kratzen, und wenn jemand zufällig
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