Die Geschichte der Liebe (German Edition)
wohl aus Polen, oder?» – «Woher wissen Sie das?» – «Kein Problem», sagte er, «bei so einem Namen.» Er rollte das Pfefferminz mit der Zunge von einer Seite auf die andere. «Ist sie vielleicht neununddreißig, vierzig hergekommen, vor dem Krieg? Sie wär dann» – er leckte sich den Finger und blätterte eine Seite zurück, holte einen Taschenrechner heraus und tippte mit dem Radiergummi seines Bleistifts Ziffern ein – «neunzehn, zwanzig wär sie dann gewesen. Allerhöchstens einundzwanzig, würd ich schätzen.»
Er schrieb die Zahlen auf den Block. Er zischte tzzz durch die Zähne und schüttelte den Kopf. «Muss einsam gewesen sein, das arme Ding.» Mit fragendem Blick sah er zu mir auf. Seine Augen waren blass und wässrig. «Ich glaube wohl», sagte ich. «Sicher war sie das!», sagte er. «Wen kennt sie schon? Niemand! Nur vielleicht einen Cousin, der nichts von ihr wissen will. Er lebt jetzt in Amerika, der große macher , was kann er sie gebrauchen, dieses Flüchtlingskind? Sein Junge spricht akzentfrei Englisch, irgendwann wird er ein reicher Anwalt sein, und das Letzte, was er gebrauchen kann, ist diese polnische mischpoche, die ausgemergelt wie der Tod bei ihm an die Tür klopft.» Es schien nicht angebracht, etwas zu sagen, also sagte ich nichts. «Vielleicht hat sie Glück, einmal, zweimal lädt er sie zum schabbes ein, und da schimpft seine Frau, schließlich haben sie für sich selbst nicht was zu essen, sie muss den Schlachter bitten, ihr das Hühnchen nochmal auf Kredit zu geben. Das ist das letzte Mal, sagt sie ihrem Mann, biete einem Schwein deinen Stuhl an, schon will es auf den Tisch!, ganz zu schweigen von ihrer Familie drüben in Polen, alle von den Mördern umgebracht, bis auf den letzten Mann, mögen sie in Frieden ruhen, von meinem Mund in Gottes Ohren.»
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, aber er schien zu warten, also sagte ich: «Es muss schrecklich gewesen sein.» – «Das kann ich dir sagen», sagte er, dann machte er wieder tzzz zwischen den Zähnen und sagte: «Das arme Ding. Da war ein Goldfarb, Arthur Goldfarb, wegen dem kam neulich irgendwer vorbei, die Großnichte, glaube ich. Ein Doktor war er, sie hatte ein Foto, stattlicher Bursche, aber nicht die richtige Partie, schon nach einem Jahr geschieden, hat sich herausgestellt. Hätt exakt gepasst für deine Alma.» Er knirschte mit dem Pfefferminz und wischte sich mit einem Taschentuch die Nase. «Meine Frau sagt, es ist keine Kunst, Tote zu verkuppeln, aber ich sage, wenn du immer nur Essig trinkst, weißt du gar nicht, dass es auch was Süßeres gibt.» Er stand von seinem Stuhl auf. «Bitte warte hier.»
Als er wiederkam, war er außer Atem. Er hievte sich wieder auf den Hocker. «Wie Gold suchen, so schwierig war’s, diese Alma zu finden.» – «Haben Sie?» – «Was?» – «Sie gefunden?» – «Sicher hab ich sie gefunden, was wär ich denn für ein Angestellter, wenn ich nicht ein hübsches Mädchen fänd? Alma Mereminski, da haben wir sie. Eheschließung 1942 in Brooklyn mit Mordecai Moritz, vollzogen von einem Rabbi Greenberg. Auch die Namen der Eltern sind dabei.» – «Und das ist sie wirklich?» – «Wer sonst? Alma Mereminski, hier steht es schwarz auf weiß, geboren in Polen. Er ist in Brooklyn geboren, aber die Eltern kamen aus Odessa. Hier steht, sein Vater besaß eine Kleiderfabrik, dann hat sie’s doch nicht so schlecht gehabt. Ehrlich gesagt, ich bin erleichtert. Könnte eine schöne Hochzeit gewesen sein. In diesen Zeiten, da hat der chasn wohl mit dem Fuß eine Glühbirne zertreten, weil ein richtiges Glas, das konnte sich niemand leisten.»
5. IN DER ARKTIS GIBT ES KEINE MÜNZFERNSPRECHER
Ich fand ein Münzgerät und rief zu Hause an. Onkel Julian nahm ab. «Hat jemand für mich angerufen?», fragte ich. «Ich glaube nicht. Tut mir leid, dass ich dich letzte Nacht geweckt habe, Al.» – «Ist schon gut.» – «Hat mich sehr gefreut, unser kleiner Schwatz.» – «O ja», sagte ich und hoffte nur, er würde nicht wieder mit meiner Zukunft als Malerin anfangen. «Was meinst du, sollen wir nicht heute Abend essen gehen? Oder hast du etwas anderes vor?» – «Habe ich nicht», sagte ich.
Ich legte auf und rief die Auskunft an. «Welcher Bezirk?» – «Brooklyn.» – «Welcher Eintrag?» – «Moritz. Der Vorname ist Alma.» – «Geschäftlich oder privat?» – «Privat.» – «Ich habe nichts unter diesem Namen.» – «Und Mordecai Moritz?» – «Nein.» – «Also dann, was ist
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