Die Geschichte der Liebe (German Edition)
wolle. Ich hätte ihn an die Gerüchte erinnern können, die er über mich verbreitet hatte, einmal als ich sechs war, von wegen adoptiert und Puertoricanerin, oder als ich zehn war, von wegen bei ihm im Keller meinen Rock hochheben und ihm alles zeigen. Stattdessen sagte ich, mir werde schlecht vom Autofahren.
Ich ging noch einmal zur 31 Chambers Street, diesmal um herauszufinden, ob es nicht eine Heiratsurkunde von Alma Mereminski gab. Derselbe Mann mit der schwarzen Brille saß hinter dem Tisch in Zimmer 103. «Hallo», sagte ich. Er blickte auf. «Oh, Fräulein Kaninchenfleisch. Wie geht’s?» – «Dankegutundselber?», sagte ich. «Ganz anständig, denke ich.» Er blätterte die Seite einer Zeitschrift um und fügte hinzu: «Etwas müde, weißt du, und ich fürchte, es könnte eine Erkältung werden, und heute Morgen, als ich aufwachte, musste meine Katze brechen, was nicht so schlimm gewesen wäre, aber sie hat es ausgerechnet auf meinen Schuh gemacht.» – «Oh», sagte ich. «Und obendrein habe ich eben erfahren, dass sie mir meinen Kabelempfang abstellen wollen, weil ich aus Versehen etwas spät mit dem Bezahlen dran war, was bedeutet, dass ich alle meine Shows verpassen werde, und dann ist auch noch die Pflanze, die meine Mutter mir zu Weihnachten geschenkt hat, ein bisschen braun geworden, und wenn sie stirbt, kriege ich das ewig aufs Butterbrot geschmiert.» Ich wartete für den Fall, dass noch mehr aus ihm herauskäme, aber das tat es nicht, und so sagte ich: «Vielleicht hat sie geheiratet.» – «Wer?» – «Alma Mereminski.» Er klappte die Zeitschrift zu und sah mich an. «Du weißt nicht, ob deine eigene Urgroßmutter verheiratet war?» Ich wog meine Möglichkeiten ab. «Sie war nicht wirklich meine Urgroßmutter», sagte ich. «Ich dachte, du hättest gesagt –» – «Eigentlich waren wir nicht einmal verwandt.» Er schien verwirrt und etwas aufgebracht. «Tut mir leid. Das ist eine lange Geschichte», sagte ich, und etwas in mir hoffte, er würde mich fragen, warum ich sie suchte, damit ich ihm die Wahrheit erzählen konnte: dass ich mir nicht sicher sei, dass ich damit angefangen hätte, jemanden zu suchen, der meine Mutter wieder glücklich machen würde, jedoch, obwohl ich noch nicht aufgegeben hätte, ihn zu finden, mittendrin auf etwas anderes gestoßen sei, was mit der ursprünglichen Suche wohl zusammenhinge, aber auch anders sei, weil es mit mir selbst zu tun habe. Aber er seufzte nur und sagte: «Hätte sie dann vor 1937 geheiratet?» – «Ich bin mir nicht sicher.» Er seufzte, schob seine Brille den Nasenrücken hoch und sagte, in Zimmer 103 hätten sie nur Unterlagen über Eheschließungen bis 1937.
Wir sahen trotzdem nach, fanden aber keine Alma Mereminski. «Am besten, du gehst zum Ordnungsamt», sagte er niedergeschlagen, «da haben sie alle späteren Verzeichnisse.» – «Wo ist das?» – «1 Centre Street, Zimmer 252», sagte er. Ich hatte noch nie von der Centre Street gehört, und so fragte ich nach dem Weg. Da es nicht so weit war, beschloss ich, zu Fuß zu gehen, und unterwegs stellte ich mir in der ganzen Stadt Zimmer vor, die Archive beherbergten, von denen noch nie jemand gehört hatte, wie das der letzten Wörter, der Flunkereien und der falschen Abkömmlinge Katharinas der Großen.
4 . DIE ZERTRETENE GLÜHBIRNE
Der Mann hinter dem Tisch im Ordnungsamt war alt. «Nuu, was kann ich für dich tun?», fragte er, als ich an der Reihe war. «Ich möchte herausfinden, ob eine Frau mit dem Mädchennamen Alma Mereminski geheiratet und einen anderen Namen angenommen hat», sagte ich. Er nickte und schrieb etwas auf. «M-E-R», begann ich, und er sagte: «E-M-I-N-S-K-I. Oder mit Y?» – «I», sagte ich. «Dacht ich’s mir», sagte er. «Wann hätt sie geheiratet?» – «Weiß ich nicht. Irgendwann nach 1937. Wenn sie noch lebt, ist sie wahrscheinlich um die achtzig.» – «Erste Ehe?» – «Ich glaube schon.» Er kritzelte eine Notiz auf seinen Block. «Eine Ahnung von dem Mann dazu?» Ich schüttelte den Kopf. Er leckte sich den Finger, blätterte um und schrieb wieder etwas auf. «Die Eheschließung – wär die nur auf dem Standesamt gewesen oder mit Priester, oder denkst, dass es ein Rabbi war?» – «Wahrscheinlich ein Rabbi», sagte ich. «Dacht ich’s mir», sagte er.
Er zog eine Schublade auf und nahm eine Rolle Life Savers heraus. «Pfefferminz?» Ich schüttelte den Kopf. « Nimm », sagte er, also nahm ich eins. Er warf eins ein und lutschte. «Kam
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