Die Geschichte eines Sommers
viel dichter stehende Gras, das sich deutlich vom Rest abhob. Das Gras, das in Schlangenlinien vom Zaun des Futterplatzes in Richtung Wald wuchs.
Das Gras wuchs dort, wo das überschüssige Wasser aus der Klärgrube versickerte.
Samuel blinzelte, dann fügten sich alle Puzzleteile zu einem Bild zusammen. Er hörte die Pferde mit den Hufen stampfen. Das Geräusch wurde immer lauter, bis es wie Donner in seinen Ohren dröhnte und er alles begriff. Die Vorbereitungen, die Ras getroffen hatte. Er wollte Swan umbringen und dafür sorgen, dass ihre Leiche niemals gefunden wurde. Dass es nichts mehr von ihr geben würde, was zu finden sich lohnte.
Er merkte nicht, wie seine rechte Hand nach unten fuhr, sich um Ras Ballengers Kinn legte und dem Mann dann mit einer brutalen Bewegung den Kopf zur Seite riss. Auch dass seine linke Hand Ras Ballenger am Hals gepackt hielt, bekam er nicht mit.
»Was machen Sie da?«, krächzte Ras mit zittriger Stimme. Seine Hände krallten sich um die von Samuel.
»Um Gottes willen, Prediger«, wimmerte Ras. »Das können Sie doch nicht machen. Sie sind doch ein Mann Gottes. Das haben Sie eben gesagt.«
Mit einem Ruck zog Samuel mit einer Hand Ras Ballengers Kinn nach oben, während er mit der anderen seinen Hals nach unten drückte. Er ließ nicht eher von ihm ab, bis er das Knacken hörte, das ihm sagte, dass es endgültig vorbei war. Falls Ras Ballenger geschrien hatte, hatte Sam Lake es nicht gehört.
Es dauerte eine Weile, bis Samuel den Raum fand. Den Raum, der nicht zu existieren schien. Er war als toter Raum zwischen Futterkammer und Sattelkammer gebaut worden, zu dem es auf den ersten Blick keinen Eingang gab. Betrat man die Futterkammer und schaute sich um, sah man ausschließlich Futtersäcke. Stapel von Futtersäcken, sodass man glauben konnte, dass sich direkt dahinter die Wand der Sattelkammer befand.
Trotzdem ertönte von dort der Lärm. Das Läuten der Kuhglocke und das Quaken der Entenlockpfeife. Und nun auch Swans Stimme, die ihm antwortete, als er ihren Namen rief. Samuel kämpfte sich durch die aufgestapelten Fünfzig-Pfund-Säcke, warf sie beiseite, bis er fand, wonach er gesucht hatte.
Es war keine Tür, sondern nur ein Einsatz in der Wand. Eine Platte, die man kaum sehen, aber leicht entfernen konnte, sobald man sie entdeckt hatte. Man brauchte lediglich ein Brecheisen, und das fand Samuel in der Sattelkammer, versteckt zwischen einigen anderen Werkzeugen.
Er löste die Platte und trat in den elenden Raum, um seine Tochter zu befreien. Drinnen war es so dunkel wie in einer Grabkammer, sodass er die Seilstücke, die Stoffstreifen und den Jutesack nicht sehen konnte, die allesamt zerfetzt auf dem Boden lagen. Selbst Swan konnte er nicht erkennen, doch endlich fanden sie sich im Dunkeln.
Sie weinte. Er weinte.
»Mäuse«, erklärte sie ihm immer wieder, während er sie hochhob und hinaustrug, »überall waren Mäuse. Sie haben mich gerettet.«
Die ganze Familie wartete auf dem Hof auf Samuels Rückkehr. Alle bis auf Toy, der Samuel und Swan mit dem Truck auf der Straße entgegengekommen war, gewendet hatte und ihnen nach Hause gefolgt war. Die Jungen – alle drei – kauerten am Rand der Veranda und wagten nicht hinzusehen. Calla und Willadee liefen zum Auto und weinten über das, was sie sahen, und über das, was sie ahnten.
Samuel trug Swan ins Haus, legte sie auf die Couch und überließ sie den Frauen. Er brachte kein Wort heraus. Willadee kniete sich neben die Couch und bedeckte Swan mit Küssen. Ihre Tränen hinterließen helle Spuren auf dem schmutzigen Gesicht ihrer Tochter. Calla rief Doc Bismark an, ging dann in die Küche und holte eine Schüssel mit Wasser und ein paar Geschirrtücher, die so alt waren, dass sie weich wie Flaum waren. Sie wusch dem Mädchen Gesicht und Arme, und als sie mit ihren Händen weitermachen wollte, sah sie, was Swan verzweifelt umklammert hielt. Eine Kuhglocke und eine Entenlockpfeife.
»Was ist das?«, fragte sie, obwohl sie es wusste.
Samuel fand seine Stimme wieder.
»Swans Wunder«, sagte er.
Erst als Doc Bismark kam und sich um Swan kümmerte, erzählte Samuel Willadee in der Küche, was passiert war. Sie sahen sich an und wussten, dass ihnen noch viel bevorstand. Calla und Toy waren inzwischen mit den Jungen ins Obergeschoss gegangen und taten ihr Bestes, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Auch die Jungen brauchten jetzt Hilfe.
Irgendwann, während Samuel erzählte, waren Schritte in einem anderen Zimmer zu
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