Die geschützten Männer
fällt der arme Mr. B. ein, und ich schweige.
»Und was denken Sie darüber?« fragt sie grinsend.
»Nichts.«
»Würde es Ihnen zusagen, ein Kastrat zu sein?«
Ich entschließe mich, dem Wortwechsel eine leichtere Wendung zu geben.
»Wer weiß? Vielleicht könnte ich ebenfalls Karriere in der Regierung machen?«
Helsingforth zeigt eine Reaktion, die ich allmählich kenne: sie lacht. Aber gleich darauf verübelt sie mir, daß ich sie zum
Lachen gebracht habe. Ihr Blick wird hart, und sie sagt mit abweisender Stimme, die plötzlich bösartig ist:
|302| »Heute kann ich Ihnen Gewißheit verschaffen, Doktor. Die Situation hat sich geklärt. Ihr Serum wird hier nicht produziert
und wird auch nicht die USA verlassen. Die Überwachung Ihres Laboratoriums wird verschärft, bis Sie die Entwicklung des Serums
abschließen. Ab jetzt müssen Sie sich als Gefangener betrachten.«
Obwohl ihre Worte mir nichts verraten, was ich nicht schon mehr oder weniger wußte, lähmen sie mich doch. Daß Helsingforth
die Fiktion meiner Freiheit nicht mehr aufrechterhalten zu müssen glaubt, kann nur bedeuten, daß die Entscheidung bevorsteht.
Ich frage mit ausgedörrter Kehle: »Warum lassen Sie mich die Entwicklung des Serums abschließen, wenn Sie es gar nicht verwenden
wollen?«
Kurzes Lachen.
»Aber wenn es doch ein Pfand ist! Und Sie können einer Sache sicher sein: sobald es fertig ist, werde ich es an einen sicheren
Ort bringen, und nicht unbedingt hier …«
Wenn ich recht verstehe, herrscht kein volles Vertrauen zwischen Bedford und meinem Gegenüber. Da ich nichts mehr zu verlieren
habe, entschließe ich mich zum Gegenangriff.
»Wie können Sie sich zur Komplizin von Bedfords Massenmord machen – gerade Sie, die Sie doch heimlich die Männer weiterhin
lieben?«
Sie lacht höhnisch.
»Das ist keine gute Frage. Männer werde ich bestimmt immer finden. Und
lieben
ist auch nicht der rechte Ausdruck.«
»Was wäre eine gute Frage?«
»Diese: warum ich darauf eingegangen bin, die enormen Summen zu verlieren, die ich mit Ihrem Serum verdient hätte. Nun gut,
ich will es Ihnen sagen, Martinelli, ich habe ein paar kleine Entschädigungen erhalten … Das war das Ziel meiner Reise nach
Washington. Ich habe es erreicht.«
Ich schweige. Ich habe gelernt, vor Zynikern Angst zu haben. Ich ziehe ihnen sogar die Fanatiker von der Art Ruth Jettisons
vor. Am Ende empfinde ich nichts als Verachtung für eine Frau, die imstande ist, meistbietend ein Serum zu verhökern, das
unter so großen Mühen hergestellt wurde, und Millionen von Menschenleben für eine Summe Geldes zu opfern, mag sie noch so
hoch sein.
|303| »Sie sehen mich recht streng an«, sagt Helsingforth mit einem verkrampften Lächeln. »Wie ein Richter, könnte man meinen. Dabei
bin ich der Richter! Und auch der weltliche Arm! Sie sind mir mit gefesselten Händen und Füßen ausgeliefert, Martinelli, und
glauben Sie mir, ich werde Ihnen nichts schenken!« Sie fängt an zu lachen und zeigt ihre kräftigen Zähne. »Kommen Sie näher,
Martinelli. Jetzt ist der Augenblick gekommen, Sie zu verschlingen.«
Sie lacht immer noch. Ich tue so, als hätte sie mich aufgefordert, meinen Hocker heranzurücken; ich stehe auf und hebe ihn
an einem seiner drei Beine hoch – er ist sehr schwer –, und einen Augenblick, einen winzigen Augenblick lang, gerate ich in
Versuchung, ihn mit aller Kraft Helsingforth an den Kopf zu schleudern.
Ich tue es nicht. In dieser Sekunde wird mir klar, daß es fast unmöglich ist, einfach so mir nichts, dir nichts zum Mörder
zu werden. Ich stelle den Hocker wieder hin, komme aber nicht mehr dazu, mich draufzusetzen. Die Glastür zum Wohnzimmer am
anderen Ende des Swimmingpools fliegt auf, und Audrey erscheint in abgetragenen, schwarzen Jeans und einem Pulli. Sie ist
sehr bleich, fast wie eine Tote, ihre Gesichtszüge sind gespannt, die Halsmuskeln treten hervor. Sie nähert sich uns auf eine
seltsame Art, beide Hände hinter dem Rücken, als hätte man sie gefesselt, um sie zur Hinrichtung zu führen.
Es ist ein bißchen so. Man braucht nur den Blick zu sehen, den Helsingforth auf sie richtet. Arme Audrey, ungünstiger konnte
sie es nicht treffen.
Sie hat etwa noch zwölf Meter bis zu uns – die Länge des Swimmingpools. Unter Helsingforths schrecklichem Blick geht Audrey
aufrecht und steif, die Hände hinter dem Rücken. In ihren starr auf uns gerichteten Vergißmeinnichtaugen brennt eine
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