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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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fanatische
     Flamme. Sie ist bleich und bewegt sich mit vorgeschobenem Kinn wie eine Galionsfigur vorwärts.
    »Was wollen Sie denn hier, Audrey?« fragt Helsingforth mit geheuchelter Freundlichkeit. »Ich hatte Ihnen doch gesagt, Sie
     sollen den Fußboden in der Küche scheuern. Sind Sie fertig damit?«
    Audrey bleibt zwei Meter vor ihr reglos stehen und sagt ohne eine Spur von Unterwürfigkeit, im Ton leidenschaftlicher Herausforderung:
     »Nein. Ich war beschäftigt.«
    |304| »Womit?«
    »Eine Entscheidung zu treffen.«
    »Oh, das ist ja wunderbar!« sagt Helsingforth. »Und haben Sie diese Entscheidung getroffen?«
    »Ja.«
    Ich rücke näher an Helsingforth heran, bleibe aber außerhalb der Reichweite ihres Arms. Ich möchte ihr Gesicht sehen. Innerhalb
     von zwei, drei Sekunden hat der Zusammenstoß den höchsten Grad von Spannung erreicht.
    »Na gut«, sagt Helsingforth im gleichen Ton grausamer Ironie, »ich hoffe, daß Sie mich heute abend davon in Kenntnis setzen
     werden. Mir ist aufgefallen, daß Ihre Entscheidungen stets originell sind, zu welcher Dummheit Sie sich auch immer entschließen.
     Vielleicht wollen Sie mit Ihrem Verlobten brechen (Audreys Gesicht zuckt) oder mit Ruth Jettison schlafen. Oder Selbstmord
     begehen, noch besser.«
    »Ich will Ihnen sagen, wozu ich mich entschlossen habe«, entgegnet Audrey tonlos, jedoch ohne daß ihre Augen zucken.
    »Später! Später!« sagt Helsingforth mit einer leichten Handbewegung, als wollte sie eine Fliege verscheuchen. »Jetzt ist dafür
     keine Zeit. Ich bereite mich darauf vor, mit Martinelli ins Bett zu gehen.«
    »Es geht um Martinelli.«
    »Nicht möglich! Sie mögen den Doktor doch nicht. Und Sie tun unrecht daran. Gott allein weiß«, fährt sie mit einem angedeuteten
     Grinsen fort, »wie sehr ich Ihre strahlende Intelligenz bewundere, aber physisch sind Sie die Fadheit in Person. Und unter
     diesem Gesichtspunkt ist Martinelli einem Partner Ihres Schlages weit überlegen. Er hat alles, was Sie nicht haben. Ich meine
     damit nicht seine spezifischen Attribute. Martinelli hat ganz andere Vorzüge: Er hat Muskeln, harte Lippen, eine ordentliche
     Behaarung.«
    Wenn mich nicht der penetrant unechte und übertriebene Tonfall Helsingforths störte, könnte ich ihre Erfindungsgabe auf dem
     Gebiet der moralischen Folter fast bewundern, die »harten Lippen« zum Beispiel. Ich sehe, wie Audrey die ihren zusammenpreßt.
     Und ich sehe, wie sie bei jedem neuen, hinterhältigen Schlag zusammenzuckt, wie ihr bleiches Gesicht zittert. Sie steht aufrecht,
     unbeweglich da, die Hände hinter |305| dem Rücken. Man braucht sie nur an den Pfahl des Scheiterhaufens zu binden und das Ganze in Brand zu setzen.
    Obwohl ihr Entschluß unumstößlich ist, oder vielleicht gerade deshalb, kommen ihr die Worte nicht leicht über die Lippen.
     Sie kleben aneinander, und als Audrey schließlich den Mund öffnet, bringt sie keinen Ton heraus.
    »Los, Audrey, sprechen Sie, sprechen Sie«, sagt Helsingforth. »Sie ähneln einem Fisch auf dem Trocknenen. Dieses Warten ist
     unerträglich. Sprechen Sie, ich bitte Sie. Unhörbares kann ich nicht hören.«
    »Hilda!« sagt Audrey leise, tonlos, kaum vernehmlich.
    »Endlich!« sagt Helsingforth.
    »Hilda, ich bitte Sie, Ihrer Liebelei mit Martinelli ein Ende zu setzen.«
    Helsingforth lacht.
    »Meiner Liebelei? Habe ich richtig verstanden? Was für ein Ausdruck! Sie hinken ein Jahrhundert nach, Audrey! Es handelt sich
     um keine Liebelei, sondern um eine einfache Abwechslung in der Technik des Orgasmus. Muß ich wiederholen, daß der Orgasmus
     qualitativ etwas ganz anderes …«
    »Hilda!«
    »Was heißt Hilda!«
    »Hilda, ich bitte Sie zum letzten Mal, schicken Sie Martinelli weg.«
    »Zum letzten Mal?« fragt Helsingforth. »Sagen Sie auf der Stelle, was geschehen wird, wenn ich nicht gehorche.«
    Eine Pause, dann sagt Audrey matt:
    »Ich werde mich umbringen.«
    »Ach, wie schön!« sagt Helsingforth. »So ist das also! Sie erteilen mir einen Befehl, und wenn ich nicht gehorche, bringen
     Sie sich um. Was für eine kindische Erpressung. Sind Sie sich nicht klar darüber, daß Sie auch nicht die geringste Chance
     haben, mich einzuschüchtern?«
    »Das ist keine Epressung«, sagt Audrey leise. »Ich will einfach nicht länger durchmachen, was ich durchgemacht habe.«
    Der Schmerz hat bei diesen Worten ihr Gesicht entstellt, und der Tonfall schließt jeden Zweifel aus.
    »Wollen Sie damit sagen, Audrey«, fragt Helsingforth

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