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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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mit geheucheltem Erstaunen, »daß Ihnen der Gedanke, Martinelli könnte
     mit mir schlafen, weh tut?«
    |306| »Das wissen Sie genau.«
    »Na gut, das ist Ihre Sache. Nicht meine. Sehen Sie zu, wie Sie mit Ihren Gefühlen zu Rande kommen.«
    Pause.
    »Hilda«, sagt Audrey leise und unnachgiebig, »ich werde mich umbringen.«
    Helsingforth zuckt ihre kräftigen Schultern.
    »Wieder ein Selbstmord mit Schlaftabletten. Zwei Wochen Klinik und für mich ein Haufen Unkosten.«
    »Ich werde mich mit dem da umbringen«, sagt Audrey. Sie nimmt die Arme nach vorn, und in ihrer rechten Hand erscheint ein
     kleiner Revoler.
    »Kleines Miststück«, sagt Helsingforth kalt, »Sie haben wieder in meiner Tasche herumgewühlt. Dabei hatte ich Ihnen das verboten.«
    »Ich will eine Antwort, Hilda«, sagt Audrey und setzt den Revolerlauf auf ihre Brust.
    Ihre Stimme zittert, nicht aber ihre Hand. Der Revoler darin hat alles geändert. Mir rinnt der Schweiß den Rücken hinunter,
     und mein Herzschlag beschleunigt sich. In diesem Augenblick bin ich sicher, daß Audrey abdrücken wird. Helsingforth ist sich
     dessen ebenso sicher, glaube ich, denn sie sagt eine ganze Weile nichts.
    Aber als sie wieder anfängt, treibt sie ihren grausamen Hohn auf die Spitze.
    »Audrey, das ist leeres Geschwätz. Wenn man sich erschießen will, steckt man den Revolverlauf in den Mund oder drückt ihn
     notfalls an die Schläfe. Sie wollen lieber irgendwo in der Brust ein kleines Loch haben, um sich nicht zu verunstalten. Und
     obendrein richten Sie es so ein, sich in Gegenwart eines Arztes zu erschießen. Sie denken an alles.«
    Jetzt entschließe ich mich einzugreifen, und zwar rückhaltlos.
    »Sie dürfen so etwas nicht sagen, Helsingforth! Wenn Audrey sich eine Kugel in die Brust jagt, kann ich ihr nicht mehr helfen.
     Und Dr. Rilke in Blueville auch nicht. Man müßte sie nach Montpelier bringen, vorausgesetzt, daß die Kugel nur die Lunge durchbohrt.
     Wenn sie ins Herz dringt, ist in wenigen Sekunden alles zu Ende.«
    »Schweigen Sie doch, Martinelli«, sagt Helsingforth und wirft mir einen haßerfüllten Blick zu. »Audrey weiß nicht einmal, |307| wo das Herz ist. Sehen Sie sich an, wo sie den Lauf ansetzt. Viel zu weit links.«
    »Aber das ist grausam, das ist teuflisch, so etwas zu sagen!« schreie ich.
    Helsingforth wendet mir ihr wütendes Gesicht zu.
    »Zum letzten Mal, schweigen Sie! Lassen Sie mich dieses Spiel spielen, wie ich will! Sie machen mit Ihrem idiotischen Dazwischenreden
     alles kaputt!«
    Als ich wieder zu Audrey hinschaue, hat sie den Lauf ihres Revolvers mehr zur Brustmitte hin verschoben: eine unvergleichlich
     gefährlichere Position. Der Schweiß rinnt mir die Wangen hinunter. Ich schweige. Ich fühle die Sinnlosigkeit jedes Einschreitens.
     Und seltsamerweise schweigt auch Helsingforth.
    »Nun, sind Sie zufrieden?« sagt Audrey, der Helsingforths Schweigen wieder Auftrieb gegeben hat. »Ist der Lauf jetzt an der
     richtigen Stelle?«
    Helsingforth schweigt weiterhin. In diesem Augenblick bin ich sicher, daß sie die Angst vor einem tragischen Ausgang gepackt
     hat, denn der verächtliche Elan, der eine Sekunde zuvor noch unerschöpflich zu sein schien, ist schlagartig versiegt. Eine
     Sekunde später scheint Helsingforth in sich zu gehen, ihre Schultern sinken herab, sie wendet sich zu mir und sagt mit müder
     Stimme: »Gehen Sie.«
    Ich bin sprachlos. Sie kapituliert.
    Dann spielt sich alles innerhalb von zwei Sekunden ab. Das Gesicht Audreys, die den Revolverlauf noch immer auf ihr Herz gerichtet
     hält, entspannt sich und bekommt wieder Farbe. Sie wirft den Kopf nach hinten und sieht uns abwechselnd mit triumphierendem
     Gesichtsausdruck an. Damit begeht sie einen schweren Fehler, wie ich sofort sehen kann.
    In ihrer vollen Größe sich aufrichtend, brüllt Helsingforth: »Doktor, Sie bleiben!«
    Sie macht, nach vorn gebeugt, puterrot und mit angeschwollenen Schläfenadern, einen Schritt zu Audrey hin und schreit, nein,
     brüllt mit haßbebender Stimme:
    »Audrey, ich will keine Erpressung! Von Ihnen lasse ich mir keine Vorschriften machen! Auch ich habe meine Entscheidung getroffen.
     Der Doktor wird so oft wiederkommen, wie ich es will: morgen, und morgen, und dann wieder morgen!«
    |308| Ich weiß nicht, ob Helsingforth den Vers aus
Macbeth
absichtlich parodieren wollte, doch beim letzten »morgen« geht der Schuß los, und Audrey stürzt zu Boden. Der Schuß kam ganz
     plötzlich – ein trockener, aber nicht

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