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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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stelle
     ich mir die Nora aus dem
Puppenheim
vor. Sie hat abgespannte Gesichtszüge, unablässig rollen Tränen über ihre Wangen.
    Als die beiden Frauen die Ruheecke erreichen, entziehe ich Audrey den unerträglichsten Teil meiner Nacktheit, indem ich mich
     zum Feuer drehe, aber über meine Schulter hinweg behalte ich die Szene im Auge.
    »Setzen Sie sich, Doktor«, sagt Helsingforth. »Dieser Hocker ist aus Eiche, und es besteht keine Gefahr, daß er unter Ihrem
     Gewicht zusammenbricht. Und Sie, Audrey, hören auf zu weinen. Ich mag es nicht, wenn Ihre Tränen in meine Tasse fallen. Der
     Doktor ist da anders. Er mag an der Frau alles, einschließlich ihrer feuchten Substanzen. Wenn er Ihre Absonderungen in seiner
     Tasse haben will, ist das seine Sache. Stellen Sie das Tablett da hin. Und versuchen Sie nicht, mein Mitleid zu erregen, wenn
     Sie Ihre dünnen Arme mit dieser Leidensmiene reiben. Das volle Tablett wiegt höchstens fünf Kilo. Doktor, Ihre Schamhaftigkeit
     ist absurd, drehen Sie sich um und setzen Sie sich. Audrey möchte Sie begrüßen. Audrey, sagen Sie Ihrem Freund guten Tag.
     Das sind Sie ihm schuldig: Er hat Sie ja beinahe vergewaltigt.«
    »Guten Tag, Martinelli«, sagt Audrey mit ihrer kurzatmigen, |298| melodischen, sanften Stimme, während sie mir einen haßerfüllten Blick zuwirft.
    »Das war aber gar nicht herzlich!« sagt Helsingforth mit einem Auflachen, das fast wie ein Peitschenhieb klingt. »Los, Audrey,
     noch einmal. Ich möchte, daß zwischen meinen Spielsachen ein gutes Einvernehmen herrscht.«
    Ich will mich nicht weiter über die theatralische, gekünstelte Art von Helsingforths Monologen auslassen. Diese Frau ist eine
     fürchterliche Schmierenschauspielerin, und was sie sagt, klingt selten echt. Aber ich stelle fest, daß es ihr im Bereich der
     kleinlichen Boshaftigkeiten nicht an Einfallsreichtum mangelt. Das »gute Einvernehmen zwischen meinen Spielsachen« trifft
     auf tückische Weise gleich zweimal ins Schwarze. Mich läßt das Ganze in Wahrheit völlig kalt. Doch mir ist nicht engangen,
     wie Helsingforths Sklavin zitterte.
    »Guten Tag, Martinelli«, sagt Audrey mit einem kaum freundlicheren Blick.
    »Sind Sie womöglich eifersüchtig, Audrey?« sagt Helsingforth und zieht die rechte Braue hoch. »Wie kommen Sie dazu? Haben
     Sie Rechte auf mich? Antworten Sie, Sie kleines Luder!«
    »Nein«, sagt Audrey, während die Tränen über ihre Wangen rollen, »ich habe nicht die geringsten Rechte auf Sie.«
    »Na also! Von nun an werden Sie Martinelli ein freundliches Gesicht zeigen.«
    »Ich will es versuchen«, sagt Audrey tonlos.
    »Versuchen Sie es, das rate ich Ihnen. Versuchen Sie auch, seinen wahren Wert zu erkennen. Sie sind sich gar nicht darüber
     im klaren: Der Doktor ist ein rares Objekt. Ein Luxusgegenstand. Vor allem jetzt, da die Hirsche dazu neigen, sich mit Politik
     zu befassen.«
    Ich spitze die Ohren: Das bestätigt die Information des
Wir
.
    »Bedienen Sie sich, Audrey«, sagt Helsingforth dann und setzt sich auf das Ruhebett aus Rohr. Sie muß an ihre Nacktheit gewöhnt
     sein. Sie ist nicht im geringsten verlegen. Ganz im Gegenteil, ihre Bewegungen zeugen von völliger Ungezwungenheit. »Und bedienen
     Sie auch den Doktor«, fährt sie fort. »Man muß ihm etwas zu essen geben, bevor man ihm etwas abverlangt. Audrey! Wenn Sie
     noch einmal einen einzigen Tropfen Tee auf den Tisch gießen, stehe ich auf und gebe Ihnen eine Ohrfeige.«
    |299| »Ich bitte Sie um Verzeihung«, sagte Audrey mit tränenverschmiertem Gesicht.
    »Ihre Entschuldigungen widern mich an. Und Ihre Unterwürfigkeit auch. Sie haben eine Sklavenseele, Audrey. Sie kriechen vor
     meinen Füßen wie eine Hündin, mit hängender Zunge, immer bereit, mich zu lecken. Sie sollten sich an dem Doktor ein Beispiel
     nehmen. Der Doktor kriecht nicht. Er hat mir dreimal gekündigt. Das bedeutet, er hat dreimal sein Leben aufs Spiel gesetzt.
     Und wissen Sie, weshalb er mit mir schlafen wird? Weil er Angst hat? Nein! Weil er hofft«, sagt sie sarkastisch und wirft
     mir einen Blick voll herausfordernder Ironie zu, »daß er dadurch Zeit gewinnt, sein Serum zu entwickeln und die Menschheit
     zu retten.«
    Jetzt ist der psychologisch richtige Augenblick gekommen, das Schweigen zu brechen. Ich umfasse Helsingforths Körper mit einem
     Blick, den ich selbst als unverschämt bezeichnen würde, und sage mit einem überaus zweideutigen Tonfall:
    »Sie vereinfachen meine Motivationen sehr. Dank Ihrer

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