Die geschützten Männer
nett.
Qué delicadeza!
würde Ricardo sagen. Aber mach dir darum keine Sorgen. Ich habe Zeit, weil ich ja jetzt im Dienst der Wissenschaft stehe!
(Sie lacht.) Drei an einem Abend, was ist das schon für mich? Und dazu noch drei gegen zwei! Ich kann nicht sagen, daß ich
überlastet bin!«
Ich fange an, mich auszuziehen. Von Bess geht etwas Vulgäres aus, das mir gefällt, weil es so natürlich kommt.
»Überlastet ist eigentlich nicht das Wort, das ich meine«, |195| fährt Bess fort und runzelt nachdenklich die Brauen. »Es gibt noch ein anderes Wort! Moment, was mit Sex.«
»Sexploitiert?« frage ich.
»Oh, das kennst du auch!« Bess sieht mich bewundernd an. »Die Soziologin, die mich wiedereingegliedert hat, sagte immerzu:
Bess, Sie sind von den Männern sexploitiert worden. Am Ende habe ich sie gefragt: Entschuldigen Sie, aber was heißt das,
sexploitiert
? Das heißt, daß der Mann Sie sexuell ausgebeutet hat. Ah, Doc, ich traute meinen Ohren kaum. Ich, sagte ich, ich soll vom
Mann sexploitiert worden sein? Aber sicher, Bess, sagte sie. Irrtum, sagte ich, Irrtum!
Ich
habe sie sexploitiert! Für fünf kurze Minuten, die ich nicht einmal Arbeit nennen würde, mußten die Kerls ganz schön blechen!«
Sie lacht, und obwohl ich verstandesmäßig der Soziologin recht gebe, ist andererseits das Lachen dieses breiten Mundes so
ansteckend, daß wir zusammen wie zwei alte Kumpels lachen.
Es folgen »fünf kurze Minuten«, bei denen die Horcher sicher ausgiebig auf ihre Kosten kommen, dann gieße ich Bess in der
Küche einen Bourbon ein, mir nur einen kleinen, und Ricardo, der mich düster und traurig ansieht, bekommt ein zweites Glas.
»Du bringst diese Reagenzgläser dalli dalli in die Kühltruhe und trinkst hinterher!« sagt Bess zu Ricardo und legt ihre flache
Hand auf sein Glas.
Ricardo gehorcht, und Bess ruft:
»Meine Marke! Wo hab’ ich meine Marke?«
»Was für eine Marke?«
»Na, die Marke, die mir diese blöden Votzen am Lagereingang für meinen Ausweis gegeben haben! Sie haben mich drauf aufmerksam
gemacht: ohne Marke lassen sie mich nicht wieder raus. Ricardo!« schreit sie, als er wieder auftaucht, »hast du meine Marke?«
»Ich habe meine«, sagt Ricardo mit seiner traurigen Stimme. »Und was ist mit meiner? Ich hab sie dir gegeben!«
»Das stimmt nicht«, sagt Ricardo mit seinem traurigen Schnurrbart. Er kapituliert von vornherein vor der Ungerechtigkeit.
Und es stimmt wirklich nicht, denn die Marke findet sich. Sie ist Bess aus der Tasche gefallen, als sie sich über mich beugte,
und liegt auf meinem Bett.
|196| »Bis nächste Woche«, sagt Bess, nachdem sie den Whisky mit einem einzigen Schluck hinuntergekippt hat.
»Du kommst wieder?« frage ich erstaunt.
»Und ob!« sagt Bess. »Wußtest du das nicht? Du siehst mich nicht das letzte Mal! Na ja, was heißt sehen: du verstehst schon!«
Am nächsten Morgen wache ich, wie so oft, um halb sieben auf: eine gute halbe Stunde vor dem ersten Sirenengeheul. Ich bleibe
im Bett liegen und lasse meinen Gedanken freien Lauf. Oft habe ich in diesen Augenblicken gute Ideen fürs Labor. Manchmal
verfalle ich auch in sinnliche Phantastereien. Ich will diese Träume nicht beschreiben, jeder kennt ihren Wert, daß nämlich
alles darin völlig unproblematisch ist.
An diesem Morgen denke ich wieder an Ricardo, an die wenig skrupelhaften Methoden, mit denen die Bedford-Administration Arbeitskräfte
anwirbt; und von Ricardo komme ich auf Bess, zu ihrem erstaunlichen Äußeren, zu dem Vergnügen, das mir die Begegnung mit ihr
bereitet hat. Ich meine das soziale Vergnügen. Blueville ist so stickig, daß ein Mensch wie Bess, durch und durch spontan,
einen Schwall frische Luft von draußen mitbringt. Doch, ich sagte
frische Luft.
Dann komme ich auf Anita, aber schon viel gleichmütiger; ich denke an sie nicht wie an eine Episode in meinem Leben, sondern
wie an einen Fall. Ich überdenke den Weg, den sie in zehn Jahren zurückgelegt hat. Dieser Weg hat sie verändert. Ohne Zweifel
ist sie »arriviert«, aber sie ist nicht mehr diejenige, die sie am Anfang war. Und da begreife ich schlagartig, warum in unseren
Filmen die weiblichen Gestalten so blaß und schwach sind, während die Beziehungen zwischen Männern oft überzeugend dargestellt
werden. Der Grund ist, daß man die Frauen ausschließlich als Vertreterinnen ihres Geschlechts vorführt. Sie sind auf ihre
koitale, Mutter- oder dekorative Funktion festgelegt. Sie
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