Die geschützten Männer
völlig |188| verstummt ist. Ich suche schon nach einer saftigen Antwort, als Stien mit einer unerwarteten Heftigkeit sich plötzlich erhebt
und brüllt: »Hier hast du meine Antwort: nein! nein! und nochmals nein!«
Nach dieser Absage, die beim letzten Nein ihre volle Lautstärke erreichte, lächelt und zwinkert er mir völlig unvermutet zu;
dann begibt er sich eilig zu der kleinen Schreibmaschine, an der Joan gerade für ihren Mann schreibt, setzt sich hin, tippt
sorgfältig ein paar Wörter auf dasselbe Blatt, steht auf, kehrt uns den Rücken und geht hinaus, ohne uns eines Blickes zu
würdigen, ohne eine Entschuldigung für Joan, der er eben die Seite verdorben hat. Die Tür fällt ins Schloß, und wir sehen
ihn am Fenster vorübergehen, mit dem tief in die Stirn gezogenen Hut und bis an die Augen in den roten Wollschal gemummt.
Pierce tänzelt auf ihren langen Beinen zur Schreibmaschine, und ich folge ihr.
»Joan«, sage ich, »wenn Sie eine Schere haben, würden Sie wohl …«
Ich fordere sie durch ein Zeichen auf, die Zeile abzuschneiden, die Stien geschrieben hat. Sie tut es wortlos. Obwohl der
Text für sie unverständlich ist – es handelt sich um einen sehr knappen Hinweis auf eine Nummer einer biologischen Monatszeitschrift
–, will ich ihn ihr nicht laut erklären: ich will Stiens Vorsichtsmaßregeln respektieren, auch wenn ich sie übertrieben finde.
Vielleicht wird er wegen des Auftritts, den Mutsch mit Ruth Jettison hatte, viel strenger als die andern überwacht. Jedenfalls
traut er nicht einmal der ausgeschalteten Abhöranlage von Pierce.
Ich bin sicher, die Zeitschrift in der wissenschaftlichen Bibliothek des Schlosses zu finden, und an diesem Nachmittag warte
ich zum erstenmal ungeduldig auf das Ende meiner Arbeitszeit im Labor, um mich in die Bibliothek stürzen zu können.
Für Periodika werden keine Bestellzettel ausgefüllt: man kann sie je nach Wunsch an Ort und Stelle lesen oder mit nach Hause
nehmen, wenn man an ihrem Platz eine grüne Karte mit dem Namen des Lesers und dem Datum der Ausleihe zurückläßt. Ich entscheide
mich verständlicherweise für die erste Methode; mühelos finde ich die angegebene Quelle und lese den betreffenden Aufsatz
stehend an einem Pult, ohne mir Notizen |189| zu machen. Ich habe es geahnt: es handelt sich um einen von Stien selbst zwei Jahre zuvor geschriebenen Artikel. Er ist sehr
kurz: an die zehn Seiten, aber für uns – in der Lage, in der sich Blueville und das Land befinden – von atemberaubendem Interesse.
Ich verschlinge alles in einem Zuge, dann lese ich es noch einmal langsam und präge mir die Einzelheiten ein, um sicherzugehen,
am nächsten Morgen nichts auszulassen, wenn ich Burage Bericht erstatte.
Als ich die Bibliothek verlasse, hängt sich Mr. Barrow an mich. »Hängt sich« ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, denn
dazu bräuchte man eine Hand, Klauen oder eine Pranke. Mr. Barrow aber scheint solche Extremitäten nicht zu besitzen. Seine
Arme sind funktionslos: er rührt einen nie an. Schlaff und schwammig saugt er einen auf, wie ein Saugnapf. Man bleibt an seinem
salbungsvollen Blick, an seinen dicken fleischigen Lippen und an seiner rüsselförmigen Nase kleben. Seine ölige und zugleich
metallische Stimme haftet einem an der Haut wie Melasse. Sein dicker, völlig kahler Schädel glänzt, als hätte er ihn mit Wachs
eingerieben. Wie eine gallertartige Masse versperrt er mir in dem zur Cafeteria führenden Korridor den Weg. Ich könnte vielleicht
versuchen, durch diese Qualle hindurchzugehen, doch in welchem Zustand würde ich auf der anderen Seite herauskommen? Ich bleibe
wie vor einer riesigen Öllache in einer Autowerkstatt stehen. Ganz offensichtlich hat mir Mr. Barrow etwas zu sagen. Und tatsächlich
murmelt er unvermittelt und verschämt:
»Doktor Martinelli, ohne Zweifel werden Sie nicht vergessen haben, daß heute abend die Kommission von Dr. Mulberry nach Blueville
kommt. Ich habe ihn gebeten, seine Ankunft etwas später als ursprünglich vorgesehen festzusetzen, um für seine Aktivitäten
im Lager die größtmögliche Diskretion zu gewährleisten. Aus diesem Grunde habe ich auch entschieden, daß der Eingriff bei
jedem zu Hause erfolgt und daß Sie als letzter behandelt werden (wie mir dieser Euphemismus gefällt!), um neun Uhr in Ihrer
Unterkunft. Wenn ich mich recht erinnere (er hat vor allem das Gedächtnis seiner Abhöranlage, denn ich habe ihm nie
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