Die geschützten Männer
schmachtenden Blick zuwirft, dem ich nicht weiter Bedeutung zumesse,
weil sie dem sofort ein Lächeln folgen läßt, das ihre Mundwinkel weit auseinanderzieht. Dieser Mund ist wegen seiner ungewöhnlichen
Ausmaße und auch wegen der Schönheit der Lippen, der Zähne und der Zunge überaus faszinierend. Die Augen wirken trotz der
falschen Wimpern und der auffälligen Schminke recht nichtssagend, aber der Mund ist ausdrucksvoll. Er ist ständig in Bewegung,
die Zunge kommt und geht, die Lippen ziehen sich zusammen und auseinander, die Zähne kommen zum Vorschein und verschwinden.
»Ich heiße Bess«, fährt sie fort und zeigt mit dem rechten Daumen auf ihre linke Brust.
»Hello, Bess. Hello, Ricardo.«
»Buenas noches, señor«
, sagt Ricardo und sieht mich unendlich |193| traurig an. Er hat spanisch gesprochen: ein wenig Folklore, dem
Gringo
1 zu Gefallen.
»Hello, Doc«, sagt auch noch Bess.
Ricardo sieht Bess ein zweites Mal unterwürfig und fragend an, worauf sie sich an mich wendet.
»Liebling, soll Ricardo hierbleiben?«
Ich schaue sie sprachlos an, doch an ihren Augen läßt sich nichts ablesen. Glücklicherweise lächelt sie, und ich begreife.
»Nein, nein«, sage ich hastig.
»Jeder nach seinem Geschmack«, sagt Bess unparteiisch. »Fragen kostet ja nichts. Ricardo, warte im Auto auf mich.«
Ricardo zieht die Schultern ein, seine Gesichtszüge erschlaffen, und ohne sich zu rühren, sieht er Bess mit den Augen eines
Hundes an, den man aus dem Hause jagt, weil er schmutzige Pfoten hat.
»Hast du gehört, Ricardo?« fragt sie schroff, aber mit einem üppigen Lächeln, was mich sofort davon überzeugt, daß sie für
Ricardo eine gewisse Zuneigung empfindet.
Ricardo, der sich immer noch nicht von der Stelle rührt, spürt das ebenfalls und scheint – ob nun gespielt oder echt – den
Tränen nahe zu sein. Ich sage:
»Ricardo braucht sich nicht unbedingt am Steuer zu langweilen. Er kann bei einem Glas Bourbon in meiner Küche warten.«
»Was, du hast Bourbon?« fragt Bess, heftig Atem holend, und schnalzt mit der Zunge.
»Willst du einen haben?«
»Vor der Arbeit nie!« sagt Bess und preßt tugendhaft ihre fülligen Lippen zusammen.
Ich gehe zu Ricardo, fasse ihn am Arm und führe ihn in die Küche. Er scheint sowohl von meinem kleinen Wuchs als auch von
meiner Liebenswürdigkeit angenehm überrascht zu sein. Sein Gesicht entspannt sich ein wenig, als er den Whisky ins Glas fließen
sieht. Er nimmt die dunkle Brille ab, als ob sie ihn bei der Kostprobe behinderte. Ich sehe seine Augen, die dunkle Ringe
haben, und selbst der Bourbon befreit sie nicht völlig von ihrem düsteren Ausdruck.
Ich lasse ihn allein. In meinem Zimmer packt Bess gerade |194| ihre Instrumente aus, während sie die erforderlichen Handgriffe mit einer Reihe völlig überflüssiger Bewegungen ihres Hintern,
ihrer Hüften und ihrer Brüste begleitet.
»Du bist ein guter Kerl, Doc«, lacht sie lauthals, und ich kann ihr bis auf den Schlund sehen, als ob sie mich aus lauter
Dankbarkeit verschlingen wollte.
»Ricardo sieht nicht gerade fröhlich aus«, sage ich zu ihr, von der Schönheit dieses klaffenden Rachens ziemlich fasziniert.
»Wie sollte er auch!« sagt Bess. »Diese gemeinen Hündinnen haben ihm übel mitgespielt. Ricardo ist Puertoricaner. Sie werden
zu Tausenden importiert, wie du sicher weißt (nein, ich weiß es nicht), um zu schuften. Und diese Hündinnen haben ihm eingeredet,
daß dieses
Caladium dingsda
nur eine vorübergehende Wirkung hätte. Er hat es geglaubt und das Zeug getrunken, dieser arme Irre. Und jetzt, wo er verstanden
hat, daß es für immer aus ist, jetzt plärrt er ewig wegen seinem Pimmel.«
Durch eine Handbewegung gebe ich ihr zu verstehen, daß sich in meinem Zimmer eine Abhöranlage befindet.
»Ich pfeife drauf«, sagt sie. »Armer Ricardo. Er hat in seiner Heimat eine Frau und einen Haufen Kinder. Und er schickt ihnen
seinen ganzen Zaster. Um die Überweisungen kümmere ich mich, er kann nicht schreiben. Er sagt, daß er seine Frau nie wiedersehen
wird, denn in ihren Augen wäre er entehrt, wenn sie erfährt, daß er nicht mehr kann. – Liebling«, fährt sie fort, »du solltest
dir deinen Pyjama anziehen. Du wirst dich darin wohler fühlen.«
»Aber dadurch verlierst du Zeit«, sage ich.
Bess lacht, und ich lasse meine Augen nicht von ihrem Mund. Ich habe noch nie so etwas Großes und so etwas Schönes gesehen.
Erneutes Lachen.
»Du bist wirklich
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