Die geschützten Männer
dergleichen
erzählt), ist Dave dann im Bett. Ich trage größte Sorge«, fährt er mit verstörtem Gesichtsausdruck fort, »daß alles so unauffällig
wie möglich vor sich geht. Und ich verlasse mich darauf (das mit autoritärem Ausdruck), |190| daß der Kommission ein guter Empfang bereitet wird, denn (an dieser Stelle läßt er seine Stimme anschwellen) sie erfüllt eine
sehr delikate Aufgabe in patriotischem Sinne, wofür wir ihr Achtung schulden.«
»Aber gewiß, Mr. Barrow«, sage ich im besten bluevilleschen Tonfall.
Mr. Barrow läßt es dabei bewenden. Er hat alles gesagt, mit allen bürokratischen Zungenschlägen, die die Situation erfordert.
Er braucht sich im übrigen nicht von mir zu verabschieden, sondern mir nur den Weg freizugeben, was er in dem engen Gang auch
tut, indem er seinen Wanst einzieht, damit nichts von mir mit ihm in Berührung kommt. Ich mache mich im Vorbeigehen so dünn
wie möglich. Mir liegt nichts daran, daß er durch meine Unachtsamkeit platzt und vor meinen Augen wie Schleim auf dem Boden
zerfließt. Ich habe es geschafft und bin an ihm vorbeigekommen. Erleichtert gehe ich weiter. Seltsam. Schon vom reinen Zuhören
komme ich mir klebrig vor.
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|191| NEUNTES KAPITEL
Neun Uhr abends. Dave ist im Bett. Ich bin am Tatort, wenn ich es so nennen darf, aber noch untätig: ich gehe in meinem Zimmer
auf und ab, verwirrt und gleichzeitig neugierig. Ich scheue mich in diesem Augenblick nicht vor dem Akt selbst – den man notfalls
als medizinisch betrachten könnte –, sondern vor dem unvermeidlichen sozialen Kontakt mit der Assistentin und ihrer Persönlichkeit.
Denn eine Krankenschwester, die eine solche Aufgabe aus Pflichtbewußtsein und Patriotismus übernimmt, gehört zu jener Sorte
Mädchen, die mich völlig erstarren läßt.
Meine Besorgnis ist unbegründet. Zehn nach neun hält ein Lieferwagen vor meiner Baracke. Ich stürze zur Tür, um zu öffnen,
denn ich will vermeiden, daß meine Besucher durch ihr Klopfen Dave wecken könnten, und ich sehe mich einer kräftigen Person
von etwa dreißig Jahren gegenüber, die mit heiserer Stimme sagt:
»Doktor Martinelli? Na prima, du hast es wohl eilig. Hast du an der Tür gewartet?« Sie wendet sich jemand zu, den ich nicht
sehen kann, und ruft: »Ricardo, bring die Instrumente! Der Kunde hat es eilig!«
»Nicht so laut, sage ich, »mein Sohn schläft nebenan.«
»In Ordnung«, sagt sie, »ich nehme mich in acht. Wie alt ist denn der junge Mann?«
»Elf Jahre«, sage ich, während ich sie am Arm in mein Zimmer ziehe.
»Zu jung«, sagt sie und lacht.
Sie geht mir voraus und tätschelt mich beiläufig am Unterleib, so als wäre das die natürlichste Sache der Welt, nichts weiter
als eine Höflichkeitsgeste, die man von seiten einer Besucherin eben erwartet.
»Ricardo!« schreit sie mit ihrer rauhen Stimme zur Tür hin, durch die sie gerade hereingekommen ist.
»Leise! Mein Sohn schläft.«
|192| »Ah ja, stimmt! Ricardo«, ruft sie, ihre Stimme kaum dämpfend, »bringst du nun endlich die Instrumente? Unmöglich, wie langsam
das geht«, fügt sie augenzwinkernd hinzu.
Meine Besucherin hat nichts an sich, was auch nur im entferntesten an einen medizinischen Beruf erinnert. Sie ist geschminkt,
daß einem die Sinne vergehen können, ihre schwarzen Augen sind mit buschigen falschen Wimpern gespickt, ihr Teint ist ockerfarben,
die Lippen sind blutrot. Sie ist also nicht schön. Sie hat grobe Züge, eine auffällige Nase, breite Backenknochen, eine niedrige
Stirn. Doch ein riesiger Mund, der sich fast von einem Ohr zum andern zieht, bewahrt ihr Gesicht vor einem banalen Aussehen.
Es ist ein Mund mit scharfen Konturen und üppigen Lippen, wunderbaren Zähnen und einer rosigen Zunge, die man sieht, wenn
sie spricht, und die außergewöhnlich beweglich und groß erscheint.
»He, Ricardo, wird’s bald?« schreit sie mit ihrer heiseren Stimme und geht, sich in den Hüften wiegend, wieder zur Tür zurück.
Im selben Augenblick taucht Ricardo auf. Er ist Lateinamerikaner, von kleinem Wuchs, hat feine Züge, einen dünnen schwarzen
Schnurrbart und eine weiße Kappe auf dem Kopf; er trägt eine weiße Jacke mit dem grünen, goldverzierten Abzeichen der A. s
und auf der Nase eine dunkle Brille. Auf seinem Gesicht liegt ein Schimmer von Melancholie. Er stellt die Arzttasche auf meinen
Tisch und sieht die Frau fragend an.
»Das ist Ricardo«, sagt die Frau, während sie mir einen
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