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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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tun? Wissen Sie das, Dr. Oppermann? Haben Sie eine Lösung? Sehen Sie: wir haben eine. Darum erlaube ich meinen Leuten, daß sie ihr Leben riskieren. Ihnen erlaube ich es nicht«, sagte er heftig.
    Eine Strecke Weges gingen die beiden Männer nebeneinander, ohne zu sprechen. »Sind Sie jetzt sehr zornig auf mich?« fragte schließlich Gustav, bittend, betrübt, ein Junge, der etwas ausgefressen hat, aber doch im Innersten weiß, daßer im Recht ist. Frischlin zuckte die Achseln. »Es ist schade um Sie, Dr. Oppermann«, sagte er, und der Ton war so ähnlich dem, den Mühlheim manchmal gegen ihn anschlug, daß Gustav trotz Frischlins Zorn glücklich war über diese Begegnung.
    Mit sanfter Hartnäckigkeit führte er sein Leben fort. Er war jetzt in jenen Gegenden, von denen Bilfingers Bericht erzählt hatte. Er fuhr herum in der schönen, schwäbischen Landschaft. Er wollte Bilfingers Material ergänzen; denn der Tag wird kommen, da dieses Material mehr als nur historisches Interesse haben wird.
    Allein auch diese Tätigkeit brachte ihm Enttäuschung. Die Menschen, die bisher Namen gewesen waren, Worte, Buchstaben, erwiesen sich, nun sie leibhaft vor ihm standen, als viel schattenhafter denn die Bilder seiner Phantasie. Leibhafter war nur eines: ihre Angst, ihr ungeheuer verschüchtertes Wesen. Bei der leisesten Andeutung verstummten sie, zeigten ihm die Tür. Dem einen oder andern der Augenzeugen, soweit sie nichts mit den Opfern zu tun hatten, konnte er die Zunge lösen; die Gesichter der Opfer selbst, sprach man von dem Geschehenen, versteinerten sich in der Entschlossenheit, nichts gesehen zu haben, nichts zu wissen.
    Diese gestockte Angst, dieses tief eingebettete Grauen füllte Gustav mit geradezu körperlichem Mitleid. Von vielen Seiten her versuchte er die Verängstigten zum Reden zu bringen. Es war nicht nur sein Verlangen nach Material; er glaubte, die Geschlagenen würden über das Schrecknis, das ihr ganzes Leben verdarb, leichter hinwegkommen, wenn sie erst sprächen.
    Einmal saß er mit einem Tierarzt, einem Krämer, einem Mechaniker bei einem Schoppen Wein. Die erregten sich, als man von dem sprach, was in ihrer Stadt geschehen war. Sie ließen sich gehen, brauchten kräftige Worte. Gustav tat mit. Am Nebentisch wurde man aufmerksam. Noch ehe sie das Lokal verließen, wurden sie festgenommen.Im Konzentrationslager Moosach nahm man seine Personalien auf: Georg Teibschitz aus Berlin-Charlottenburg, Knesebeckstraße 92, Alter 49 Jahre, eingeliefert wegen Miesmacherei. Man schor ihn kahl, hieß ihn sich ausziehen – ungern trennte er sich von seinem grauen Anzug –, zwang ihn, gestreifte Kleider anzulegen. Der Rock war zu lang, die Hose viel zu knapp, Gustav sah lächerlich aus; wenn sie ihn Kniebeugen machen lassen, wird das in allen Nähten reißen. Er dachte an Johannes. Er hatte Angst vor den Kniebeugen und wartete gleichzeitig darauf, mit einer heimlichen Spannung.
    Sie führten ihn auf einen Hof. Stellten ihn in eine Reihe mit fünf andern, hießen ihn strammstehen. Drei junge Landsknechte mit harten, gutartigen, bäurischen Gesichtern bewachten sie.
    Die sechs hatten strammzustehen, sonst nichts. Die erste halbe Stunde strengte Gustav die gespannte Haltung nicht übermäßig an. Dumpf, tief in seinem Innern, hatte er immer gespürt, daß sein Unternehmen ein solches Ende haben werde, hier zu stehen, den Körper gestrammt, grausam beaufsichtigt von dummen, gutartigen Jungens. Trotzdem hatte er sich seiner Aufgabe lustvoll hingegeben. Mochten Frischlin und der junge Heinrich sie sinnlos finden: er wußte, sie war ihm gemäß. So lange war Johannes Cohen ein Vorwurf für ihn gewesen, Johannes, aushaltend auf seinem Katheder inmitten von pöbelnden sächsischen Studenten, Johannes der Hampelmann, federnd, Knie beugt, streckt, der tote Johannes, zerbrochene Knochen, zerfetzte Klumpen Fleisches in einem plombierten Sarg. Jetzt konnte Johannes ihm nichts mehr vorwerfen. Sie standen auf gleich.
    So dachte und spürte Gustav in der ersten halben Stunde. Von da an spürte er nur mehr: Ich halte das nicht aus. Man hatte sie über Mittag hungern lassen. Sein Nachbar hatte schon lange begonnen, sich zu lockern, zusammenzusinken; der Gummiknüppel hatte ihm wieder zur Strammheit verholfen. Wenn nur der Nacken nicht so weh täte, dachte Gustav. Ich werde jetzt den rechten Fuß vorsetzen. Nein, denlinken. Dann werden sie schlagen. Ich werde trotzdem den linken Fuß vorsetzen. Ich werde ihn einfach hochziehen und ein

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