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Die gestohlene Zeit

Die gestohlene Zeit

Titel: Die gestohlene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Bergsteiger selbstgefällig. »Der erkennt einen Ess-ju-vi, wenn er ihn sieht!«
    »Einen
was
?«, rutschte mir heraus, denn diese Marke war auch mir völlig unbekannt. Allerdings war mein Interesse für Autos ungefähr genauso stark wie für Quantenphysik, tendierte also gegen null.
    »Die Initialen stehen für ›schnelle, ungehobelte Vandalen‹«, witzelte der Ältere, den die Frau vorhin mit »Bastian« angesprochen hatte. Der Besitzer des Wagens verdrehte die Augen.
    »Der S-U-V«, die Frau sprach die Buchstaben nun deutsch aus, »ist Josefs ganzer Stolz. Was macht es schon, wenn das Ding Benzin schluckt wie ein Wal auf Rädern? Ganz abgesehen davon, wie es die Umwelt belastet«, erklärte sie.
    Josef blickte sie strafend an. »Die Autoindustrie produziert inzwischen äußerst schadstoffarm. Aber das ist natürlich an dir vorbeigegangen, Renate.
Du
trägst ja noch die Original-›Atomkraft-nein-danke‹-Sticker an deiner Jacke!«, schoss er zurück.
    »Na ja,
so
lange ist Tschernobyl ja noch nicht her«, fühlte ich mich bemüßigt, der netten Wanderin zur Seite zu stehen.
    Josef musterte uns nur kopfschüttelnd. »Da haben sich ja zwei gefunden«, murmelte er. »Wollt ihr jetzt mitfahren, oder legt ihr Wert drauf, noch mal fünf Stunden schadstoffsparend ins Dorf zu latschen?«
    Während Renate sich weiter mit dem Autobesitzer kabbelte, sah ich mich nach Jonathan um. Sichtlich misstrauisch strich er um den massigen schwarzen Wagen und bückte sich gerade, um den riesigen Auspuff in Augenschein zu nehmen, der silbrig in der Sonne funkelte. Offenbar polierte dieser Josef sein motorisiertes Schätzchen täglich von oben bis unten.
    Renate hatte inzwischen genug von dem Wortgefecht und drängte Josef, den Kofferraum zu öffnen, damit sie ihren schweren Rucksack im Auto verstauen konnte. Mit einem selbstgefälligen Lächeln zog er den Autoschlüssel aus der Tasche. Es gab ein seltsames Geräusch, als hätte ein Goldfisch unter Wasser Schluckauf, gleichzeitig blinkten die Rücklichter zweimal in kurzen Abständen auf.
    Mit einem erstickten Laut sprang Jonathan zurück. Die Karre musste ihn zu Tode erschrecken. Weil Josef schon irritiert zu uns herübersah, beugte ich mich vor und schlug Jonathan leicht aufs Bein. »Stechmücken«, rief ich munter und trat nah an ihn heran. »Ich erkläre dir alles später, aber jetzt musst du mir vertrauen und in dieses Auto steigen! Es wird gleich noch mehr Lärm machen und sich sehr schnell fortbewegen, viel schneller als ein Pferd. Aber in den letzten zweihundert Jahren hat sich eine Menge getan, also keine Panik. Ich bin bei dir«, ratterte ich fast ohne Punkt und Komma herunter, denn die drei Wanderer hatten ihre Sachen im Wagen verstaut und sahen nun auffordernd zu uns herüber.
    Jonathan holte tief Luft. »Gut, ich werde tun, was du sagst, Emma«, versprach er. Er ging zu den dreien hinüber.
    »Schöne … Sache«, sagte er lächelnd zu Josef und klopfte leicht auf die Motorhaube.
    »Sind auch zweihundert Pferdestärken drunter«, prahlte der, und sein Blick glitt liebevoll über sein Gefährt.
    »Ihr seid wirklich komisch«, meinte Jonathan lachend, doch ehe sich Josef von seiner Überraschung erholt hatte, nahm er auf dem Rücksitz Platz, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan. Aufatmend setzte ich mich neben ihn, und nachdem auch noch Renate und die beiden Männer eingestiegen waren, ließ Josef den Motor an. Ich spürte, wie Jonathan neben mir zusammenzuckte, aber er sagte kein Wort, und sein Gesicht zeigte keine Regung.
    Josef raste wie ein Irrer. Auf den etwa vierzig Kilometern bis Bozen schaffte er es tatsächlich, seinen Wagen auf einem geraden Stück auf 180  km/h hochzujagen, nur um dann eine halbe Minute später wieder auf 80  km/h runterzubremsen. Er war genauso ein Angeber wie Udos Vater, schoss mir durch den Kopf, während sich mein Magen über diesen Fahrstil mit einem reichlich flauen Gefühl beschwerte. Ich riskierte einen Blick zu Jonathan. Er saß stocksteif wie der einbalsamierte Tutanchamun auf seinem Sitz, und seine Gesichtsfarbe war nicht gerade die gesündeste. Aber dafür, dass er zum ersten Mal Auto fuhr, und dann auch noch bei einem Fahrer, der offenbar demnächst beim Rennen um den Nürburgring teilnehmen wollte, hielt er sich tapfer. Ich schenkte ihm ein aufmunterndes Grinsen.
    »Gleich sind wir da«, flüsterte ich ihm ermutigend zu.
    »Ach ja, wo wollt ihr in Bozen denn hin?«, fragte der Grauhaarige.
    »In die Jugendherberge,

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