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Die Gestrandeten - Im Sog der Zeiten, Bd. 4

Die Gestrandeten - Im Sog der Zeiten, Bd. 4

Titel: Die Gestrandeten - Im Sog der Zeiten, Bd. 4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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und sich so lächerlich aufführte.
    Doch die Mienen der anderen Männer vermochte Jonas nicht ganz zu deuten.
    Und wenn HK nun völlig danebengelegen hat mit dem, was John Hudson widerfahren sollte?, überlegte er. Wenn es nie vorgesehen war, dass er in der Schaluppe landet, und er stattdessen mit den Meuterern davonsegeln und seinen Vater im Eis zurücklassen soll?
    Jonas spähte zu Henry Hudson hinunter, als könnte dieser ihm einen Hinweis geben. Vielleicht würde Hudson ihn stolz und voller Liebe anblicken und murmeln: »Mein Sohn, du weißt, dass ich dich nie allein zurücklassen würde.« Oder er machte ein enttäuschtes Gesicht, weil er gehofft hatte, dass sein Sohn wohlbehalten an Bord bleiben und nach England zurückkehren könnte, und sei es mit einer hinterlistigen Bande von Meuterern.
    Stattdessen sah keiner verwirrter aus als Henry Hudson selbst.
    »Sie haben dich zurückgeschickt?«, murmelte er ungläubig. »Sie haben dich zurückgeschickt?«
    Er wirkte am Boden zerstört beim Anblick seines Sohnes. Zum ersten Mal begann er sich wirklich wie ein Kapitän zu verhalten, der in Schimpf und Schande von seinem Schiff geworfen worden war. Er ließ Kopf und Schultern hängen und in seiner Miene spiegelte sich die Enttäuschung. Er hielt sich die gefesselten Hände vor den Mund, als könnte er seine Erregung nur mühsam im Zaum halten.
    Hudsons offensichtliche Verzweiflung schien den Meuterern zu helfen, über ihr weiteres Vorgehen Klarheit zu gewinnen.
    »Meint Ihr nicht, dass auch die Schaluppe einen eigenen Schiffsjungen braucht?«, schrie einer der Seeleute.
    »Aye«, erwiderte ein anderer. »Dann wird er jetzt Schaluppenjunge!«
    Zwar hatte Jonas das Wort »Schaluppe« bis vor wenigen Augenblicken noch nie gehört, dennoch war ihm klar, dass dies als grobe Beleidigung gemeint war, etwa so, als wollte man Lance Armstrong zwingen, Dreirad zu fahren. Einige der Matrosen lachten so sehr, dass sie umfielen.
    »Der Teufel soll auf seine Brut nicht verzichten müssen!«, schrie einer der Männer.
    Er ging zu Jonas, hob ihn hoch und warf ihn in die Schaluppe, die man bereits ein Stück abgelassen hatte.
    Sobald Jonas im Boot landete, veränderten seltsamerweise alle ihre Position. Es ging nicht darum, ihm Platz zu machen, davon gab es genug. Vielmehr war es eher so, als könnten sich jetzt, wo er da war, alle auf ihren richtigen Platz setzen.
    »Gut gemacht«, flüsterte da jemand mit dem Hauch einer Stimme.
    Sie schien aus Jonas’ Umhang zu kommen.
    Aus dem Definator?, fragte sich Jonas. HK?
    Wie gern hätte er gerufen:
Okay, ist damit alles behoben? Sind wir wieder auf dem richtigen Gleis?
Doch er saß nur etwa dreißig Zentimeter vom nächsten Matrosen entfernt und konnte sich unmöglich mit seinem Umhang unterhalten, ohne dass es auffiel. Er sah sich nach Katherine um, weil er hoffte, dass sie vielleicht eine Idee hatte, was sie tun könnten.
    Aber natürlich hatte sie niemand hochgehoben und in die Schaluppe geworfen.
    Katherine befand sich noch auf dem Schiff.

Neun
    Katherine stand an der Reling, nur wenige Schritte von den Meuterern entfernt. Ihr fast durchsichtiges Gesicht war vor Anspannung und Qual verzerrt. Sobald Jonas in ihre Richtung blickte, formte sie mit übertriebenen Lippenbewegungen Worte. Jonas hätte wohl nie von sich behauptet, sonderlich gut von den Lippen ablesen zu können   – vor allem, wenn diese fast unsichtbar waren   –, trotzdem erkannte er, was sie ihm zurief:
Was soll ich tun? Was soll ich tun?
    Sie zeigte unter sich auf das Schiff und hob dann fragend die Hand, dann wies sie auf sich selbst und hinunter in die tiefer sinkende Schaluppe. Auch ihre Zeichensprache war unmissverständlich:
Soll ich auf dem Schiff bleiben? Oder soll ich versuchen, in die Schaluppe zu klettern?
Jetzt hob sie beide Hände mit nach oben gerichteten Handflächen und verzog das Gesicht. Das bedeutete:
Wie soll ich jetzt noch in die Schaluppe kommen?
    Da sich die Meuterer allesamt an der Reling drängten, würde Katherine nicht an das Beiboot herankommen,ohne ein paar von ihnen aus dem Weg zu schubsen. Außerdem wurde die Schaluppe immer weiter abgelassen und hing inzwischen so tief, dass Katherine nicht hinterherspringen konnte, ohne alles aus dem Gleichgewicht zu bringen.
    Jonas sah sie im Geiste an einem Tau herabklettern, die ganze Schaluppe ins Wanken bringen und alle   – ihn, Henry Hudson, John King und das halbe Dutzend sterbender Seeleute   – in die eisigen Fluten

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