Die Gewürzhändlerin
ausgegangen. Doch kräftig zupacken konnte der Knecht nach wie vor. Martin schätzte ihn sehr, deshalb hatte er ihn heute zu einem besonders guten Essen eingeladen.
«Du hast recht», antwortete Martin, nachdem er ebenfalls ein paar Bissen gegessen hatte. «Es wäre schön gewesen, heute schon nach Hause zu kommen, aber auf einen halben Tag mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an. Zum Jahrmarkt sind wir jedenfalls noch rechtzeitig zurück.»
Alban hob den Kopf und ließ die Hand mit dem Fleisch sinken. «Ich gehe gleich noch mal raus und sehe nach unseren Wagen, Herr. Will sichergehen, dass damit alles in Ordnung ist. Ihr habt so viele wertvolle Waren dabei – nicht dass jemand auf die Idee kommt, Euch zu bestehlen!» Schon wollte der Knecht aufspringen, doch Martin hob nur lachend die Hand und hielt ihn zurück.
«Keine Sorge! Setz dich ruhig wieder, Alban. Meine Wachleute sind schon fähig, unsere Wagen zu bewachen. Iss erst einmal.» Martin sah sich in der gutgefüllten Gaststube um. Kaufleute, Pilger und Einheimische bevölkerten die Tische. Ein buntes Gewirr von Stimmen und Gelächter erfüllte die Luft. Über allem hing der Geruch von nasser Wolle und Gebratenem. Sein Blick blieb an einer kleinen Gruppe Frauen hängen, die an einem der hinteren Tische beieinandersaßen. Die bunten Bänder an ihren Kleidern und die auffälligen gelben Kopftücher wiesen sie als Hübschlerinnen aus. Bei gutgefüllten Bierbechern schienen sie es sich wohlergehen zu lassen. Gleichzeitig ließen die Weiber – wie Martin nicht entging – ein ums andere Mal ihre prüfenden Blicke durch die große Gaststube schweifen: Ständig waren sie auf der Suche nach potenzieller Kundschaft.
Martin räusperte sich und wies mit dem Kinn in ihre Richtung. «Vielleicht hast du ja Lust auf ein wenig Gesellschaft heute Nacht, Alban. Zur Feier des Tages, sozusagen.»
«Äh, ja, Herr … vielleicht, Herr.» Albans Gesicht lief rot an. Er schien Martins Angebot nicht abgeneigt und äugte nun, noch immer eifrig kauend, in die Richtung, die Martin ihm wies.
Eine der Hübschlerinnen hatte die Blicke der beiden Männer bemerkt. Wie zufällig stand sie auf und schob sich durch die Tischreihen auf sie zu.
* * *
Mit hinter dem Kopf verschränkten Händen lag Martin auf der schmalen Pritsche in dem Zimmerchen, das er sich für die Nacht gemietet hatte. Die Herberge lag gleich neben dem Gasthof, und man konnte den Lärm aus der Gaststube deutlich hören. Kurz hatte er daran gedacht, sich ebenfalls eine der Hübschlerinnen mit ins Bett zu nehmen, doch bei näherer Betrachtung hatte keine von ihnen ihm besonders gefallen. Zwar schienen sie einigermaßen sauber zu sein, nach seinem Geschmack war jedoch keine gewesen. Eines der Weiber hatte eine derart unnatürliche Körperfülle gehabt, dass es aussah, als würde ihr Kleid jeden Moment auseinanderplatzen. Die anderen wirkten alle eher knochig und unterernährt. Doch selbst wenn er darüber hinweggesehen hätte – die erschrockenen Blicke der Hübschlerinnen waren ihm nachdrücklich aufgefallen, als sie seine Entstellung bemerkt hatten. Er kannte diese Reaktion, diesen Anflug von Abscheu in den Augen der Frauen, nur zu genüge. Wohin er auch kam, musste er sie ertragen. Er war im Alter von vierzehn Jahren bei einem Brand im Haus seines Vaters schwer verletzt worden. Die Verbrennungen an seinem Körper waren so schlimm gewesen, dass er wochenlang mit dem Tode gerungen hatte.
Zwar hatte das Leben schlussendlich gesiegt, die Narben jedoch würde er zeitlebens als sichtbaren Beweis seines Todeskampfes mit sich herumtragen.
Die Brandnarben überzogen fast seinen gesamten Rücken, seinen rechten Arm und – besonders schlimm – seine rechte Hand. Der Handrücken war von rotbraunem und weißlichem Narbengewebe überzogen, der kleine Finger verharrte vollkommen unbeweglich in einer leichten Krümmung, und der Ringfinger war in seiner Beweglichkeit ebenfalls stark beeinträchtigt.
Auch an der linken Hand hatte er einige kleinere Narben davongetragen, ebenso an der rechten Hüfte und an den Beinen. Von der rechten Schulter über den Hals bis in den Nacken zog sich weitere hässlich vernarbte Haut; lediglich sein Gesicht hatte das Feuer gänzlich verschont. Eine Laune des Allmächtigen möglicherweise, vielleicht aber auch eine große Gnade. Martin wusste, dass sein Gesicht im Allgemeinen als besonders ansehnlich bezeichnet wurde. Ihn selbst kümmerte dies wenig, wusste er doch, dass selbst die
Weitere Kostenlose Bücher