Die Gezeiten von Kregen
veränderten, bekam ich in allen Einzelheiten mit. Ich verfolgte die Entwicklung in Wissenschaft, Philosophie und Kriegskünsten. Die Landwirtschaft war ebenfalls ein lohnendes Betätigungsfeld. Trotz allem spürte ich, daß ich im Grunde ein schlafender Mann war, ein Mann, der auf einer kaum erleuchteten Bühne eine nur instinktiv erfaßte Rolle spielte.
Auch am amerikanischen Bürgerkrieg nahm ich teil. Sie wissen sicherlich, auf welche Seite ich mich schlug, obwohl das Ihnen vielleicht klarer sein mag, als es mir damals vorkam – ich hatte jedenfalls keine Freude daran. In jenem letzten schrecklichen Kriegsjahr segelte ich Ende Mai zurück nach England.
Die Vorstellung, daß die Savanti – denen es darum ging, die Lage auf Kregen zu verbessern – Menschen von der Erde abberiefen, um sie für sich arbeiten zu lassen, brachte mich auf den Gedanken, daß sie hier auf der Erde vielleicht auch Helfer hatten. Ich hatte den Erdenmenschen Wolfgang im Duftenden Sylvie in Aktion gesehen – jenem berüchtigten Lokal im Heiligen Viertel von Ruathytu, der Hauptstadt des havilfarischen Reiches Hamal. Ach, Kregen, Kregen! Es verging wohl kein Tag während meiner Zeit auf der Erde, da ich nicht voller Sehnsucht an diesen Planeten dachte.
Ich versuchte mir einen Plan zurechtzulegen, der mich mit einem terrestrischen Agenten der Savanti in Verbindung bringen sollte, ohne daß die Everoinye etwas davon merkten. Die Vorstellung begann mich zu verfolgen. Hatte ich mich nach dem ersten übermächtigen Lethargieanfall lebhaft betätigt, um solch grausame Gedanken aus meinem Schädel zu vertreiben , so stürzte ich mich jetzt geradezu wohlig auf jede Erinnerung an Kregen und die Savanti, jene sterblichen, doch nicht-menschlichen Bewohner der Schwingenden Stadt Aphrasöe. Ich dachte, daß mir Anzeigen helfen könnten, und setzte eine Flut von ihnen in die Tageszeitungen. Im Zuge meiner Recherchen kam ich mit etlichen zweifelhaften Auswüchsen der viktorianischen Wissenschaften in Berührung. Ich lernte verrückte Leute kennen, gewöhnliche Menschen aber doch irgendwie in der Vorstellung lebend, daß sie überlegene Kräfte besaßen. Meistens handelte es sich um Betrüger, Scharlatane, verkrachte Schauspieler. Auch an Dr. Quinney hegte ich zuerst Zweifel.
Ein dünnes Individuum, gesegnet mit einem dichten Schopf braunen Haars, der bis auf die Augen ins Gesicht fiel, kleidete sich Dr. Quinney in schimmernd schwarze Anzüge und setzte einen hohen Zylinder auf, der jedesmal, wenn sich wieder jemand darauf gesetzt hatte, sorgfältig ausgebeult wurde. Er versprühte Schnupftabak in weitem Umkreis. Seine Augen waren wäßrig aber funkelten fanatisch; er behauptete das Geheimnis der Kugeln zu kennen.
»Mein lieber Herr, ich versichere Ihnen ...« – sein stahlgefaßter Kneifer blitzte im Takt der Pendelbewegung seines Kopfes – »in den Kugeln liegen die höchsten Geheimnisse verborgen!«
Ich hatte mich in einer ruhigen Londoner Seitenstraße eingemietet; meine Wirtin, Mrs. Benton, gewöhnte sich langsam an die Prozession seltsamer Typen, die täglich bei mir klingelten. Dabei kleidete ich mich zurückhaltend. Dr. Quinney hielt mich für einen Mann, der wie er an der Klärung des Rätsels der Kugeln interessiert und vom Glück mit den Mitteln ausgestattet war, diese Sehnsucht zu stillen.
Ich tolerierte ihn, weil er mir eines Tages vielleicht nutzen konnte – ähnlich wie ein armer Ponsho, der als Köder für den Leem angebunden wird.
»Hören Sie, Dr. Quinney. Ich erwarte Ergebnisse von Ihnen. Sonst könnte ich sehr unangenehm werden.« Er fuhr zurück und ließ sein Taschentuch fallen. Er war gebannt von dem finster-zwingenden Ausdruck meines Gesichts, das mich, Dray Prescot, als Lord von Strombor auswies.
5
Nun begann in meinem Leben auf der Erde eine neue Periode. Verstärkt mengte ich mich unter die gebildeten Leute dieses Planeten, unter Wissenschaftler und Chemiker, Philosophen und Techniker. Offen gestanden waren mir viele von den neuen Entdeckungen, an denen sich die viktorianische Welt täglich begeisterte, schon aus Aphrasöe bekannt. So war ich in der Lage, meinen Teil zu den Gesprächen beizusteuern.
Unterdessen ging meine Suche nach einem Savapim, einem Agenten der Savanti auf der Erde, weiter – aber ergebnislos.
Eines Tages erzählte mir Dr. Quinney voller Eifer, er habe eine »wunderbare und unglaubliche neue Quelle psychischer Kraft« gefunden. Ich brachte mein Interesse zum Ausdruck und verzichtete
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