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Die Gezeiten von Kregen

Die Gezeiten von Kregen

Titel: Die Gezeiten von Kregen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burt Akers
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auf eine Reise nach Wien, wo mich die Musik von Johann Strauß in ihren Bann geschlagen hatte, und verpaßte auf diese Weise den Siebenwöchigen Krieg zwischen Preußen und Österreich, in dessen Verlauf Deutschland seinen weiteren Weg zur Einheit absteckte. Es gab einen neuen Herrscher auf der Erde, Kaiser Wilhelm I.
    Als ich die ›neue Quelle psychischer Kraft‹ kennenlernte, war mein Interesse an den Wissenschaften dieser viktorianischen Epoche längst abgeflaut. Viele dieser Forscher arbeiteten in der richtigen Richtung. Ich selbst hatte mit Chemikern in stinkenden Laboratorien gestanden und versucht, das Gas zu erzeugen, das in den Paol-Silberkästen verwendet wurde – doch ohne Ergebnis. Was die Mineralien im Vaol-Kasten anging, so ließ bereits die unterschiedliche Namensgebung die ersten zögernden Versuche scheitern. Ich merkte mir seltene Mineralien und Spurenelemente, soweit sie damals bekannt waren – und kam zu dem Ergebnis, daß mir die irdische Wissenschaft in dem Punkt nicht weiterhelfen konnte.
    Statt dessen versuchte ich es mit Ballonfahren, was mir großen Spaß machte – aber ein Ballon war nichts im Vergleich zu einem kregischen Voller. Allerdings kamen mir bei der Navigation des Ballons meine seemännischen Erfahrungen zugute.
    Dr. Quinney hüllte sich unterdessen hinsichtlich der Identität seines Protegé in Schweigen. Das konnte ich ihm nicht verübeln, wußte ich doch um den zänkischen Berufsneid zwischen den verschiedenen mystischen Zirkeln und ihren Anhängern. Ein Termin wurde festgesetzt, doch ehe es soweit war, kam es zu einer sehr unangenehmen Situation, in die ich aus Menschenfreundlichkeit geriet.
    Zu unserer kleinen Gruppe, die aus einem Schriftgelehrten der Grub Street, einem Beamten, der irgendwie mit Abwässern zu tun hatte, und einem reichen, erst kürzlich verwitweten Lederhändler bestand, gehörte auch ein gewisser junger Lord. Ich will seinen Namen nicht nennen – jedenfalls schien er mir der denkbar widerlichste Prototyp des kinnlosen, glupschäugigen mißratenen Abkömmlings einer heruntergekommenen Adelsfamilie zu sein. Er verdiente seinen Titel den zweifelhaften Schlafzimmeraktivitäten einer Vorfahrin, die für ihre Künste mit dem Titel einer Gräfin belohnt worden war, im Namen ihres nachgiebigen Mannes, des ersten Earl. Der junge Lord war reich, bösartig veranlagt und geschickt im Umgang mit Handfeuerwaffen. Ich beschränkte meine Konversation mit ihm auf das Nötigste. Es lag auf der Hand, daß der schlichte Mr. Prescot für ihn nichts weiter bedeutete als ein Klumpen Dreck unter seinen Schuhen – wie auch alle anderen, die auf der Adelsleiter nicht über ihm standen. Ohne Herkunft, ohne Familienstammbaum fand kein Mensch Zugang zu seiner Welt. Daran lag mir auch gar nicht. Es gab Wichtigeres, als die Tage mit Nichtstun zu verbringen und sich im Kreis von Freunden selbst zu beweihräuchern wie viele dieser Parasiten der Nation.
    Eines Tages hatte die junge Tochter meiner Wirtin, Mary Benton, ein gerötetes, tränenfeuchtes Gesicht, während sie meine Gemächer säuberte. Ich forschte nach, und da kam die ganze Geschichte zutage. Die verführte Unschuld. Sie kennen das. Ich blickte Mary an, ein hübsches, unschuldiges Geschöpf, das vom ersten Morgengrauen bis tief in die Nacht schwer arbeitete, und hörte ihre abgehackten Worte und ihr Schluchzen, erfuhr von ihrer Schande und verglich ihr Leben mit dem des eleganten, luxuriösen, gedankenlosen Dasein dieses Stutzers und seinesgleichen, und da kam mir der Gedanke daß ich ihr vielleicht helfen könnte. Natürlich zunächst mit Geld.
    Vielleicht hätte ich es dabei bewenden lassen. Mrs. Benton war dankbar; ich fegte ihre Einwände beiseite, und Mary wurde fortgeschickt und würde später mit einer kleinen Schwester oder einem kleinen Bruder, einer Nichte oder einem Neffen zurückkehren. Ich hatte meinen Teil getan und konnte die Sache auf sich beruhen lassen – aber der junge Lord gab sich damit nicht zufrieden. Am Abend vor der rätselhaften Zusammenkunft, die mich – obwohl ich Dr. Quinney noch immer für einen Betrüger hielt – mit einer gewissen Erregung erfüllte, drängte sich mir der junge Mann besonders unangenehm auf. Er prahlte und lachte, gestikulierte geziert, seine vorstehenden blauen Augen strahlten.
    Meine Gemächer waren voller viktorianischer Schatten, die Öllampen bildeten Lichthöfe, die alten Möbel reflektierten den Schein, der Duft der Zigarren lag in der Luft; durch die verhängten

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