Die Gezeiten von Kregen
Fenster waren der Hufschlag von Pferden und das Mahlen eisenbeschlagener Räder zu hören als Mahnung, daß ich mich in London und nicht in Valkanium befand.
Die hitzigen Worte wurden ausgesprochen, etwa so: »Unerträgliche Frechheit! Haben Sie vergessen, wer ich bin?«
»Ich weiß, wer Sie sind, kein Gentleman würde Ihre Gegenwart erdulden.«
»Sie werden meine Peitsche zu kosten bekommen, Sie Schandmaul!«
»Bitte sehr, versuchen Sie es doch!«
Dann der Austausch der Schläge, die blutende Nase, die Herausforderung zum Duell, die bittere Feindseligkeit, der vertuschte Skandal.
Es sollte in Boulogne stattfinden.
»Ich stehe Ihnen zu einer Zeit und an einem Ort Ihrer Wahl zur Verfügung!«
»Meine Sekundanten melden sich.«
Nun, soweit ich mich erinnere, lief alles ab, wie es im Buche steht. Der unangenehme Aspekt der Angelegenheit kam mir am nächsten Abend zu Bewußtsein, während wir auf Dr. Quinney warteten. Es war etwas eingetreten, das mein ohnehin nicht gerade behäbiges Blut in Wallung brachte. Mir war völlig gleichgültig, ob der junge Spund mich durchlöcherte oder mir ins Herz schoß. Wenn ich konnte, wollte ich ihn töten. Er hatte sich sein Schicksal selbst zuzuschreiben – das Duell war eine Folge seiner Torheit und seiner verdammten herablassenden Art und seines gedankenlosen Egoismus. Hätte er Augen im Kopf gehabt, hätte er lesen und sehen können, wie es um die Armen im Land bestellt war. Die Reichen durften sich nicht unwissend stellen. Der krasse Egoismus, verbunden mit einem grotesken Überlegenheitsdenken, veranlaßte die Menschen seiner Klasse zu einem solchen Verhalten. Ich sah der Begegnung in Boulogne mit grimmiger Freude entgegen, Zair möge mir verzeihen. Handelte ich, Dray Prescot, denn auf meine Art nicht ebenso egoistisch?
Nun, wenn Sie meine Geschichte von Anfang an verfolgt haben, verstehen Sie vielleicht ein wenig mehr von jener Seite meines Charakters, die ich in diesem Augenblick nur vage zu erfassen vermochte.
Von allen Ereignissen während meines Erdaufenthalts ist mir jener Abend im Schein der Öllampen, im Kreis der Gäste um den polierten Mahagonitisch, während von draußen die gedämpften Geräusche Londons hereindrangen, am lebhaftesten in Erinnerung. Dr. Quinney traf ein, die Schnupftabakdose fest im Griff. Er führte eine große verhüllte Gestalt herein. Als die Kapuze des Mantels zurückgestreift wurde, richteten sich die Anwesenden auf. Wir alle spürten die magnetische Ausstrahlung dieser Dame das Bewußtsein der Macht, gepaart mit Verständnis, die bloße zwingende Autorität dieses Menschen.
»Madame Iwanowna!« rief Quinney, und seine Stimme klang heiser vor Stolz und Erregung.
Die Frau setzte sich, nachdem sie den Kopf geneigt hatte – eine Geste, die der ganzen Gruppe galt und zugleich jeden einzelnen ins Vertrauen zu ziehen schien. Ich sah eine Frisur aus schimmerndem schwarzen Haar, dazu ein bleiches, faltenloses Gesicht von bemerkenswert makelloser Form. Die Augen waren groß und braun und herrlich geschnitten und musterten ihre Umgebung mit zwingendem Blick. Ihr Mund verwirrte mich, zugleich weich und voll, deutete er auf einen vielschichtigen Charakter hin. Sie trug schlichte schwarze Kleidung, die weit geschnitten war. Dies war durchaus gebräuchlich; trotzdem wirkte ihre Aufmachung irgendwie geheimnisvoll, erregend, gefährlich – ja, besorgniserregend, und charmant zugleich. Ich beugte mich vor, bereit, meine Rolle bei der Charade des Abends zu spielen.
Im gleichen Augenblick fiel mir auf, daß Quinney sich noch nicht vom Fleck gerührt hatte. Er trug ein idiotisches Grinsen zur Schau und hatte die Hand ausgestreckt. Die anderen in der Gruppe saßen absolut still. Die Geräusche wurden gedehnt, wurden leiser. Das Ticken der Uhr auf dem Sidebord hörte sich an, als würden Bleigewichte in Zeitlupe in einen tiefen Brunnen geworfen. Ich starrte Madame Iwanowna an und spürte die Spannung, die Erregung, spürte, daß der angebundene Ponsho vielleicht endlich den Leem auf die Bühne gelockt hatte ...
»Mr. Prescot«, sagte die rätselhafte Madame Iwanowna. »Sie werden die Leute hier vergessen, die es alle gut meinen, sogar Dr. Quinney. Sie haben Ärger gemacht, und ich bin hier, weil es uns opportun erscheint, daß Sie wieder an die Arbeit gehen.«
Ich schwieg. Kein Zweifel. Die anderen Anwesenden blieben stumm, reglos, starr – erstarrt.
»Mr. Prescot, Sie scheinen nicht überrascht zu sein.«
Darauf mußte ich antworten. »Ich habe
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