Die Gezeiten von Kregen
packten mich an den Armen und halfen mir aus dem Boot.
»Nath, Zolta, das ist ja alles ganz hübsch«, sagte ich. »Aber wo ist Zorg?« Sie blickten mich verständnislos an. »Ich brauche meinen Schlaf. Laßt mich weiterschlafen!«
Nath drehte mich am Arm herum. »Hier entlang.«
»Bei Grodnos Gnade!« Ich stolperte hinter Nath her, während Zolta mich von der anderen Seite stützte. Meine Beine fühlten sich so weich an wie Bananen. »Zorg rudert.« Der Traum begann sich in meinem Kopf zusammenzuziehen. Ich begann zu keuchen. Ich spürte Schmerzen in der Brust, im Kopf. Meine Beine waren gar nicht da! »Zorg! Nath! Zolta! Wir müssen rudern – müssen durchziehen, ziehen ...«
»Wir sind gleich da, Schreiber, gleich!«
Ich versuchte stehenzubleiben, aber die beiden zerrten mich weiter.
»Wohin denn, ihr beiden Schurken? Wein und ein Mädchen? Ich kenne euch, ihr Ruderkameraden, ihr Saufbolde und Randalierer ...!«
Wir kamen durch eine Baumgruppe, dicke dunkle Stämme, geheimnisvolle schwarze Flecke in der sternendurchsetzten Dunkelheit. Eine Lichtung, ein Wasserlauf. Eine windschiefe Hütte aus Ästen und Blättern neigte sich über das Wasser. Ein Gedanke kam mir und ließ mich erstarren.
»Warum nennt ihr mich Schreiber? Ihr wißt doch, daß ich Dray ...«
»Ja, Dray, aber wir lernten dich als Schreiber kennen. Jetzt bist du Dray Prescot ...« Nath fuhr leiser fort: »In die Hütte mit ihm, ehe er die ganze Mannschaft weckt!«
»Wo ist Zorg?« fragte ich noch einmal. Und endlich dämmerte mir die Wahrheit. »Zorg ist tot! Wir sind in Sanurkazz oft aus gewesen, sehr oft, mit Nath und seinem Wein und Zolta und seinen Mädchen – und Zorg ist tot!«
»Aye, Dray, Zorg ist tot – und das werden wir alle auch gleich sein, wenn du nicht endlich aufhörst, wie ein kalbendes Chunkrah herumzubrüllen.«
Plötzlich konnte ich meine Beine wieder fühlen und spürte den Boden unter den Füßen. Ich zitterte.
Ich berührte Nath. Ich berührte Zolta.
Sie waren wirklich vorhanden!
Ich wich vor ihnen zurück. Ich wischte mir die Augen. Die Bäume, die Hütte, die Sterne – das Bild blieb unverändert. Ich schlug mir gegen die Brust. Ich erwachte nicht.
Die beiden starrten mich an.
»Ja, Dray, den wir früher Schreiber nannten. Du träumst nicht.« Nath lächelte auf seine unnachahmlich freche Weise.
»Bei Zair, Dray Schreiber! Wir haben dich vor den Krozairs von Zy gerettet, die uns sofort einen Kopf kürzer machen, wenn sie uns erwischen!« Und Zolta packte meinen Arm und schob mich in die Hütte.
»Gerettet? Gerettet? Gerettet! «
13
Die saftigen Palines fielen mir nacheinander in den Mund, köstliche kirschenähnliche Früchte, die mich belebten.
Ich lag auf der harten Pritsche in der Hütte und dachte verwundert an die Ereignisse der letzten Stunden. Ich war allein. Nath und Zolta hatten mir keine Zeit gelassen, mein Erstaunen zum Ausdruck zu bringen, meinen Stolz auf sie und meine Freunde; sie hatten mir lediglich eingeschärft, in der Hütte zu bleiben. Sie wollten so schnell wie möglich zurückkehren.
Erst jetzt fiel mir auf, daß sie wie Zidiener gekleidet waren, wie Laienbrüder der Krozairs von Zy. Die mattroten Tuniken zeigten auf Rücken und Vorderteil das dekorative Krzy-Emblem. In breiten Gürteln steckten lange Seemannsmesser. Schwerter waren nicht zu sehen. Ansonsten sahen die beiden so aus, wie ich sie in Erinnerung hatte – und schon waren sie wieder in der Dunkelheit verschwunden.
»Hoffentlich geht alles gut auf der Rächer Zulfirian «, waren Zoltas letzte Worte.
»Bei Zantristar dem Gnädigen! Zair wird es nicht anders zulassen!«
Weitere Informationen für mich. Der Ruderer hieß Rächer Zulfirian . Nath und Zolta lebten noch, arbeiteten als Zidiener, eine Tatsache, über die ich mich vor meinem Ausschluß sehr gefreut hätte. Indem sie einem Apushniad halfen, verstießen sie gegen alle Vorschriften des Ordens.
Die Strafen für ein solches Verbrechen waren schlimm.
Die Tatsache, daß ich frei war, und mochte es nur für kurze Zeit sein, löste in mir einen Vorgang aus, der mich aus der abgrundtiefen Verzweiflung herausführte. Endlich begann mein Kopf wieder zu arbeiten. Natürlich hatten mich die beiden umsichtigen Schurken Schreiber genannt – so hatte ich geheißen, als wir uns kennenlernten, ein Name, den mir die Oberherren von Magdag gegeben hatten. Aber wie kamen sie hierher? Ein Zufall konnte das nicht sein.
Ich begann an mein tragisches Gespräch mit Delia
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