Die Gezeiten von Kregen
Ketten klirrten. Ich hörte eine Tür quietschen, dann sagte eine heisere Stimme: »Eine Bur, Lady. Keine Mur länger.«
Eine Gestalt bewegte sich. Weiches Licht schimmerte über einen Boden voller achtlos hingeworfener Gegenstände – Fischereigeräte, ein zerbrochener Dreizack, kaputte Schwimmkörper, ein Haufen Segeltuch, Holzfässer und Weidenkörbe. Das Licht schwankte.
Ich hob den Blick.
Der Augenblick des Wiedersehens ist lange her. Ich war völlig außer mir, mehr weiß ich nicht. Ihre weichen Arme hüllten mich ein, ihre Lippen, ihr Haar berührten mich, ihre Stimme ließ mir einen Schauder über den Rücken rinnen. Ach, ich kam mir arm und heruntergekommen vor wie noch nie in meinem Leben. Daß es so weit hatte kommen müssen! Ein besiegter Mann, angekettet, seinem geliebten Leben entrissen – trotzdem wagte er es, die wunderbarste Frau auf zwei Welten in den Armen zu halten!
»Dray, oh, mein Herz ...«
Nein, ich kann nicht darüber berichten.
Delia – meine Delia aus Delphond, meine Delia aus den Blauen Bergen!
Von unserem sinnlosen Geschwätz weiß ich nicht mehr viel. Sie sagte, die schrecklichen Krozairs von Zy ließen sich leider nicht bestechen. Nichts könne sie von ihrer Pflicht abbringen. Das hätte ich ihr vorher sagen können. Das Gold der ganzen Welt konnte mir nicht zur Flucht verhelfen. Ihr ging es gut, und sie war stolz auf ihre Söhne und Töchter, Krozairs, Schwestern der Rose, Prinzen und Prinzessinnen von Vallia. Ich brachte kaum ein Wort heraus. Sie wollte von den jüngeren Kindern sprechen, doch ich küßte sie nur immer wieder, und wir umarmten uns, warm, warm, und wieder klagte sie, daß es keine Möglichkeit gebe, meine Flucht zu arrangieren.
In einem pathetischen Aufflackern meines alten Stolzes sagte ich: »Ich komme frei, Delia, ganz bestimmt! Und dann sage ich dir, warum ich manchmal fortgehe – auch wenn du mir nicht glauben wirst.«
»Wenn du es mir sagst, glaube ich dir.«
»Ich komme frei! Ich werde beweisen, daß ich ein echter Krozair bin.«
Sie umarmte mich. »Ja, das tust du. Sie irren sich.«
»Ich muß es tun. Ich muß!«
Wie sehr unterschied sich diese Szene von meinen großartigen Erwartungen! Einundzwanzig lange Jahre hatte ich gewartet – auf dies! Meine Delia, die vollkommenste aller Frauen, wurde hier meinetwegen auf das Schlimmste gequält. Ich preßte sie an mich, während mir düstere Gedanken durch den Kopf gingen.
Nein, mehr kann ich nicht erzählen.
Die Tür knarrte, und das vage Licht verstärkte sich. Ich wollte sie nicht gehen lassen, doch schon war sie fort, das Licht ging aus, und ich war wieder allein.
Die äußere Lenkholztür wurde aufgerissen, grobe Hände packten mich und zerrten mich kettenrasselnd zum Kai und die Gangway hinauf. So begann für mich erneut eine Zeit als Galeerensklave auf dem Auge der Welt, dem Binnenmeer des Kontinents Turismond.
Ein Galeerensklave hat eine Überlebenschance, wenn er die erste Woche übersteht.
Meine Erinnerungen an diese Zeit sind verschwommen. Ich weiß noch, daß die Arbeit ein Schock für mich war; ich hatte in letzter Zeit doch zu wenig Bewegung gehabt. Meine Körperkräfte waren zwar noch vorhanden, doch es war nicht so leicht, wie ich mir vielleicht eingebildet hatte. Es dauerte seine Zeit, bis ich die alte Härte zurückgewonnen hatte, bis mein Körper es gewohnt war, die endlose Anstrengung zu überstehen, während sich meine Seele in bodenlosen Tiefen bewegte. Mir war im Grunde alles egal, und allmählich gelangte ich zu der Überzeugung, daß meine Zusammenkunft mit Delia nur eine Halluzination gewesen war. Hatte ich wirklich meine Frau in den Armen gehalten? Oder hatten die Traumbilder meines Wahnsinns schließlich doch die Oberhand gewonnen?
Der Verstand war ausgeschaltet. Ich zog meinen Ruderbaum durch. Ich lebte wie ein Vosk in meinem eigenen Dreck. Ich hielt durch.
Auch die Gedanken an Zorg aus Felteraz und Nath und Zolta, meine beiden noch lebenden Ruderkameraden, kamen mir wie ein Alptraum vor. Immer öfter rief ich ihre Namen, in der Annahme, daß sie neben mir auf der Ruderbank säßen.
Was die anderen fünf armseligen Figuren an meinem Ruder anging, so weiß ich nichts von ihnen, es war mir auch egal, was sie von mir hielten. Ich war der Verrückte der Ruderbänke. Ich brüllte nach Zorg, wenn das Schiff in den Kampf ging, ich brüllte die Namen Nath und Zolta hinaus, verfluchte die Oberherren von Magdag und ruderte mit aller Kraft, um meine schwarze Verzweiflung in
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