Die gläserne Welt
Verbrechernaturen aus ihren Löchern hervorgelockt, – man konnte sie auf diese Weise in Sicherheit wiegen, um dann schlagartig zuzufassen.
Wilbur hatte vollbewußt nicht die Wahrheit gesagt. Aber die Wahrheit kam doch ans Licht, durch seine Erfindung. In London hatte man gerade während der Auseinandersetzung mit den Zeitungsleuten seine Gedanken belauscht und hatte vernommen, wie er behauptete, die Erfindung des Netzes sei gut und brauchbar – während er das Gegenteil dachte. Das Netz war Schwindel, und gerade als man diese Gewißheit durch Wilbur erhielt, atmete man in der britischen Hauptstadt erleichtert auf. Hier aber gab es auch keine beschränkenden Maßnahmen für die Presse, keine Lügen und keine Verschleierungen, mit denen man der Illusionsfähigkeit einer breiten Masse Vorschub zu leisten gedachte. Hier spürte man einen gewissen Groll gegen die Amerikaner, weil sie die Absicht gehabt hatten, anderen die Erfindung vorzuenthalten. Deswegen ließ man sich gern dazu herbei, eine kleine Rache zu nehmen und das, was die Staaten vertuschen wollten, an die Große Glocke zu hängen. Lange Artikel erschienen, die sich in allen Einzelheiten mit dem Schwindel beschäftigten. Damit drang nun die Wahrheit auch in der amerikanischen Presse durch. Die Zeitungen in den Vereinigten Staaten wagten aber nicht alles abzudrucken, um die Regierung nicht zu kompromittieren. Nur wenige Blätter sprachen sich rückhaltlos aus.
Der Mann auf der Straße wußte jetzt nicht mehr, woran er war. Handelte es sich bei den Netzen wirklich um einen Schwindel oder waren die aus den englischen Blättern stammenden Nachrichten bloß Verleumdungen, wie man vielfach behauptete? Jedermann war es ganz selbst überlassen, zu glauben, was er für richtig hielt. Unter den Netzen, so hatte der Fabrikant Trufood in einem seiner Prospekte angedeutet, könne es selbstverständlich auch einmal einen Versager geben. Dann würden sie kostenlos bei ihm umgetauscht werden. Die Möglichkeit der Versager ließ auch die Möglichkeit eines weiteren Glaubens an die Brauchbarkeit dieses Mittels offen. Nur durch gewisse ›Versager‹ hatte das Gerücht eines Schwindels aufkommen können – so trösteten sich die Leute, die durchaus nicht enttäuscht werden wollten. Andere sahen klar und tippten sich bedeutungsvoll an die Stirn, wenn jemand noch daran glaubte. So waren die Meinungen darüber geteilt.
Die amtlichen Stellen sollten nicht mehr zur Ruhe kommen. Zu Tausenden klingelten die Menschen an: was es nun tatsächlich mit dem Abschirmnetz auf sich habe?
Die Antwort blieb offen. Man redete um die Sache herum, eine klare Meinung wurde nicht zum Ausdruck gebracht.
Es kam zu Schmähungen, Angriffen und Beleidigungen. Die Angelegenheit wirbelte überall Staub auf. Doch Klarheit war nur für die Einsichtigen zu gewinnen.
Gloria hatte sämtliche Vorgänge, die sich auf die Erfindung bezogen, mit dem größten Interesse verfolgt. Namentlich, was in England geschehen war, hatte sie stark berührt. Das Attentat auf George war noch verhältnismäßig gut abgelaufen. Es hatte im übrigen nichts mehr daran ändern können, daß nun der Apparat in Großbritannien auch hergestellt wurde.
George lag noch darnieder; aber er befand sich auf dem Wege der Besserung. Den lebhaften jungen Menschen mochte es schwer genug ankommen, wochenlang auf sein Lager gefesselt zu sein. Sie dachte nicht ohne Anteilnahme an ihn, seit sich nicht nur bei ihr selbst, sondern, auch in der öffentlichen Meinung die Auffassung über seinen ›Verrat‹ geändert hatte. – Aus einer Londoner Zeitungsnotiz ging hervor, daß die beiden Brüder einander belauscht hatten und sich dadurch wieder bedeutend nähergekommen waren.
Sehr beachtenswert erschien Gloria auch die Tatsache, daß man in England kein Staatsprivileg aus der Erfindung machen wollte. Man durfte auf die Folgen gespannt sein.
Höchst amüsant war der Tarnkappenschwindel. Gloria hatte sich selbst davon überzeugen können, daß jene Netze absolut wirkungslos blieben. Unergründlich erschien es ihr, warum Wilbur Taft, zweifellos wider besseres Wissen, öffentlich nur von ›Versagern‹ sprach.
Wilbur! Da ist sie mit ihren Gedanken schon wieder bei ihm gelandet. Seit ihrem letzten Besuch, als jene Spannung zwischen ihnen entstanden war, hatte sie ihn nicht mehr wiedergesehen. Abbildungen von ihm kamen ihr allerdings immer wieder vor Augen. Letzthin war sogar eine Broschüre über das Leben der beiden Brüder
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