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Die gläserne Welt

Die gläserne Welt

Titel: Die gläserne Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Hoff
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Streckverband. Seine Brandwunden waren schon einigermaßen verheilt.
    Jetzt gestattete man ihm auch, sein Lauschgerät zu benutzen.
     
    George stellte sich auf die Schwingungszahl seines Bruders ein. Dies geschah zufällig zu einer Zeit, als auch Wilbur sich auf George eingestellt hatte. Auf diese Weise begegneten sich die Zwillinge in ihren Gedanken.
    Es kam ihnen plötzlich vor, als ob sie dicht beieinander säßen; dabei waren sie Tausende von Kilometern voneinander entfernt.
    ›Was Wilbur jetzt denken mag?‹ sann George, und im gleichen Augenblick stieß er auf Wilburs Gedanken: ›George – ich muß doch wieder mal lauschen, wie es jetzt mit ihm steht.‹ – ›Wilbur denkt an mich! Er ist auf mich eingestellt!‹ – ›Teufel ja‹, dachte Wilbur, ›er kann sich ja jetzt auch durch das Gerät mit mir in Verbindung setzen.‹ – ›Ja, das Gerät! Ich bin da, ich bin schon mit dir verbunden, Wilbur! – Ob er mich nun vernimmt?‹ – ›Ja, Georges Gedanken, wahrhaftig. Wie mag es ihm gehen? Eigentlich habe ich mich ganz und gar von ihm abwenden wollen. Aber wir sind doch Brüder‹ – ›Brüder, jawohl. Man kann Irrwege einschlagen. Ich hab's getan. Das muß ich schon einsehen. Wilbur – vernimmst du mich?‹ – ›Ja, ich höre. Es ist zu merkwürdig, George, als ob du hier mit mir sprichst, und doch anders ... so schnell, wie die Gedanken jetzt durch mein Hirn blitzen, kann man ja gar nicht sprechen.‹ – ›Richtig, Wilbur, sehr merkwürdig, ja. Es ist wie ein Blitzgespräch‹, stimmte George der Betrachtung des Bruders zu.
    Es entwickelte sich eine Art Zwiegespräch, ein eigentümliches Gemisch von persönlicher Ansprache und von abgetrennten, gewissermaßen reflexiven Gedanken, die ungewollt eine Betrachtung, eine Erläuterung einflochten, ohne persönlich gemeint zu sein.
    – ›Du mußt mir nicht übelnehmen – jetzt denkt er nach – er hat mich noch nicht begriffen. Höre, Wilbur –‹
    So flutete das durcheinander. Doch gerade dadurch, daß man die innersten reflexiven Gedanken des anderen, gleichsam aus dem Unterbewußtsein heraus, auch vernahm, kam es zu einer Klarheit des gegenseitigen Begreifens, wie man sie in einem gewöhnlichen Gespräch nie gewinnen konnte. Worte drückten nie alles aus, was man sagen wollte. Hinter ihnen lauerten stets Bedenken, Erwägungen, oft auch gegenteilige Überzeugungen, ja – die Lüge. Wenn man sprach, bemerkte der andere die Lüge nicht gleich. Aber wenn man seine Gedanken belauschte, dann konnte die Lüge sich nicht mehr hinter Worten verbergen.
    Daher geschah es, daß George und sein Bruder einander bis in die tiefsten Gründe ihrer Seelen sondieren konnten. Mit Staunen erkannten sie, daß jeder von ihnen doch eine eigene, eine durchaus persönliche Welt in sich aufgebaut hatte. Trotz vieler Gemeinsamkeiten waren ihre Kräfte und Neigungen ganz verschieden. Wilbur erblickte alles vom idealistischen Standpunkt aus. Er wollte durch seine Erfindung die Welt verbessern, er wollte Gutes tun, wo er nur konnte, jeder Eigennutz lag ihm fern. Soweit dieses Ziel durch Berühmtheit erreicht werden konnte, hatte er auch diese in Kauf genommen. George indessen jagte realistischeren Interessen nach. Er strebte aus den kleinen Verhältnissen seines Elternhauses heraus, er wollte reich werden, um dann besser leben und sich alles Erdenkliche leisten zu können. Es gelüstete ihn nach Berühmtheit, weil er stolz und ehrgeizig war.
    Beide Brüder durchschauten einander jetzt wie kristallklares Glas. Es war eine gläserne Welt, in der sie nun lebten. Ja. Sonderbar. Geradezu unheimlich mutete sie das an. Aber es führte auf breiter Basis zu einem vollen Verstehen. Verständnis bedeutete aber noch keine Billigung. In vielen Dingen blieb man verschiedener Meinung. Da war es wie beim Geschmack, über den sich nicht streiten läßt.
    Ein wichtiger Punkt, um den es hier ging, war der ›Landesverrat‹. Georges Entscheidungen und Motive lagen vor Wilbur klar. Der Bruder ist durch die Liebe zu Gloria verwirrt gewesen, er hat sich betäuben wollen, er hat nicht mehr nachgedacht, – gab, was seine Handlungen betraf, einfach seinem Instinkt nach. Blitzartig tauchte ein Wahnbild auf, durch Morland an ihn herangetragen in einem Augenblick des Vergessenwollens. Gier und Machthunger sowie die Aussicht auf ein anderes, reicheres Leben hatten dann die verhängnisvolle Entscheidung herbeigeführt. Aber er wußte gar nicht, ob sie verhängnisvoll war. Er hatte sich das nicht

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