Die gläserne Welt
bedeutete das?
›... darf ich Ihnen die Sachen zuschicken, Sir?‹ – ›Nein, danke, ich nehme gleich alles mit ... die Kleinen werden sich freuen. Diese Aufmerksamkeit muß ich ihnen schon erweisen. Tobins sind wirklich reizende Menschen. Als ich sie heute morgen belauschte ...‹
Abermals horchte Gloria auf. Belauschte? Wieso belauschte? War das nicht merkwürdig? Wo befand er sich überhaupt? ... ›Und nun werde ich mir London noch ein wenig betrachten. Was ich bisher sah, gefällt mir recht gut ...‹
Wie – in London weilte er jetzt? Richtig, da konnte er lauschen, soviel er wollte. Vielleicht hatte er sie auch schon belauscht –?
Gloria erhielt dafür zunächst keine Bestätigung. Seine Gedanken kreisten jetzt um ein Buch, das Tobin geschrieben hatte, und das er sich kaufen wollte. Dann dachte er über ein neues Motiv für ein Bild nach. Plötzlich dachte er auch an sie, an Gloria. Sie erschrak, als sie diese Gedanken vernahm, die seine tiefsten Gefühle zum Ausdruck brachten. Er liebte sie, liebte sie mit der ganzen Glut seiner Künstlerseele. Aber er fürchtete sich davor, ihr das zu sagen. Erst wollte er wissen, ob auch sie für ihn etwas übrig habe. Und eigens, um das zu erforschen, hatte er sich nach London begeben!
Im Grunde bedauerte Gloria, daß sie dies nun erfahren hatte. Denn damit wich ihre Unbefangenheit ihm gegenüber. Schade. Jetzt konnte, nein, wollte sie sich nicht mehr von ihm malen lassen. Es würde – in seinem Interesse – wohl besser sein, ihm nicht mehr all zu oft zu begegnen. Sonst verrannte er sich noch weiter in seine Liebesidee – und es wäre schade um ihn, wenn er dann eine große Enttäuschung erleben müßte.
Sicherlich würde er sie nun öfter belauschen. Dagegen konnte sie nichts unternehmen. Vielleicht aber war das gut so. Dadurch mußte er ja erfahren, wie es in Wirklichkeit um sie stand.
Gloria belauschte auch noch verschiedene andere Leute aus ihrem Bekanntenkreis. Dabei konnte sie manche überraschende Feststellung machen. Menschen, die sie für ehrlich und anständig hielt, wiesen sich als falsch und heimtückisch aus. Sie mußte erkennen, daß man ihr gegenüber vielfach Theater gespielt hatte. Andererseits stieß sie auf lebhafte Sympathien dort, wo sie so etwas kaum erwartet hatte.
Sie lauschte bis tief in die Nacht hinein, – in die blauschwarze spanische Sternennacht, in der es blitzte und funkelte, daß alles ringsum von einem geisterhaft magischen Lichtschein erfüllt war.
Die Taftsche Erfindung bedingte Umwälzungen und Neuerungen auf allen Gebieten.
Der internationale Nachrichtendienst wurde reorganisiert. Die erste praktische Auswirkung zeigte sich im Verkehr zwischen New York und Tokio. In beiden Städten waren zwei Presseleute durch das Taftsche Gerät gedanklich miteinander verbunden und sprachen sich gegenseitig die neuesten Nachrichten zu, die der Horchende jeweils gleich in seiner Sprache zu Papier bringen konnte. Jede Übersetzertätigkeit erübrigte sich. Hierdurch entstand ein nicht zu unterschätzender Zeitgewinn. Das gleiche Verfahren wandte man bald auch in allen übrigen Staaten an.
Vor jedem Mißbrauch wurde man neuerdings durch Gesetze geschützt. In den Vereinigten Staaten durften Gedanken sowohl prominenter wie auch anderer, privater Personen nicht mehr ohne deren ausdrückliche Genehmigung veröffentlicht werden.
Interviews, die ›abgelauscht‹ wurden, mußten vor ihrer Veröffentlichung erst der betreffenden Person, um die es sich handelte, schriftlich vorgelegt werden. Beim Ablauschen verbrecherischer Gedanken ließ man Ausnahmen gelten.
Man setzte sich an maßgebenden Stellen für eine internationale Anerkennung dieser Bestimmungen ein. Überall traten die Parlamente zusammen, um sich über die laufenden Fragen einig zu werden. Dies gelang bald, da man sich hierbei des direkten Gedankenaustauschs bediente.
Das größte Ereignis war die Bildung der ›Europa-Union‹. Die Abgeordneten und Bevollmächtigten der beteiligten Staaten kamen in Genf zusammen. Die ganze Welt lauschte mit. Denn sämtliche Länder der Erde waren durch Ausfuhr aus England und Frankreich bereits mit Taftschen Geräten versehen, wenigstens, was die Presse und die offiziellen Regierungsstellen betraf. Die Genfer Verhandlungen spielten sich ruhig und würdig ab dank der Tatsache, daß man sofort alle Gedankengänge der Volksvertreter bis ins kleinste verfolgen, ausdeuten und begreifen konnte. Kristallklar schälte sich jede Meinung heraus.
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