Die Glasblaeserin von Murano
sie anstelle eines Kreuzes um den Hals trug, das letzte Geschenk ihres Vaters gewesen war. Er hatte es ihr gegeben, kurz bevor er gestorben war. Es war offensichtlich, dass sie an Corradino dachte. Und nur natürlich, wie der alte Pater fand. Ein jeder würde am Tage seiner Hochzeit seiner verstorbenen Eltern gedenken. Das machte es ihm auch leichter, ihr die Nachricht zu überbringen, die nun nicht mehr länger aufzuschieben war. Mit gesenktem Kopf wartete er, bis sie ihre Gebete beendet hatte, und erwog derweil sorgfältig seine Worte. Sie lächelte ihm zu. «Padre? Wartet man schon auf mich?»
«Ja, mein Kind. Aber darf ich, bevor wir hinuntergehen, noch kurz mit dir reden?»
Ein fast unmerklicher Schatten zog über ihr Gesicht, dann klärten sich ihre Züge wieder. «Aber gewiss.» Der Pater ließ sich langsam auf einen Betschemel nieder und betrachtete liebevoll das bildschöne und herzensgute Mädchen. Er versuchte sich zu erinnern, wie sie ausgesehen hatte, als Corradino sie zum letzten Mal sah - ein junges, ein wenig ernsthaftes Mädchen, das ihrer Viola wunderschöne Töne entlocken konnte. Nun war sie
eine Frau - in einem Brautkleid aus Silberbrokat, das gelockte Haar mit Mondsteinschmuck verziert -, die im Begriff stand, in eine der mächtigsten Familien Norditaliens einzuheiraten.
«Bist du glücklich mit dieser Verbindung, Leonora? Steht Signor Visconti-Manin deinem Herzen auch wirklich nahe, oder hat sein Reichtum deine Sinne verwirrt? Ich weiß wohl, dass sein Gold eine große Verlockung für ein Waisenmädchen wie dich darstellen muss ...»
«Nein, Padre», unterbrach Leonora ihn mit fester Stimme. «Ich liebe ihn wahrhaftig. Sein Reichtum bedeutet mir nichts. Ihr dürft nicht vergessen, dass er als Zweitgeborener ursprünglich nichts zu erwarten hatte. Deshalb kam er nach Venedig - um Geschichte zu studieren und den venezianischen Zweig seiner Familie aufzuspüren. Erst nachdem sein Vater und sein Bruder gestorben waren, fiel ihm das Erbe zu. Ich liebe ihn - und liebte ihn bereits, bevor er zu Reichtum kam. Er ist ein herzensguter, gottesfürchtiger Mann. Er will sich hier in Venedig niederlassen, seine Kinder sollen den Namen Manin tragen. Ich bin darüber sehr froh, denn so kann ich in Eurer Nähe bleiben. Ich hoffe doch ... dass Ihr weiterhin mein Beichtvater sein werdet?»
«Aber natürlich, cara mia. Meine alten Augen würden dich sonst viel zu sehr vermissen.» Der Priester seufzte lächelnd. Er war beruhigt. Corradino hätte sich sicher gefreut, dass seine Tochter eine so gute Partie machte. Doch nun musste Padre Tommaso sein eigentliches Anliegen vorbringen. «Leonora, erinnerst du dich noch an deinen Vater?»
«Gewiss erinnere ich mich an ihn. Mit großer Zärtlichkeit, obgleich er mich verlassen hat und nicht wie versprochen zurückkehrte.» Traurig umfasste sie das Glasherz. «Er gab mir dies hier, und ich habe es seither immer getragen, so wie er es wollte. Was bringt Euch gerade jetzt auf ihn?»
Padre Tommaso verschränkte die Hände und seufzte. «Dass er nie mehr zurückgekehrt ist, stimmt nicht ganz, mein Kind. Er kam noch einmal hierher und gab mir etwas für dich.»
Das Mädchen sprang auf und starrte ihn mit großen Augen an. «Er kam zurück? Wann? Ist er noch am Leben?», fragte sie aufgeregt.
«Nein, Leonora. Das Ganze ist schon viele Jahre her. Du warst damals noch ein Kind. Versteh bitte - ich konnte es dir nicht sagen. Erst jetzt, als erwachsene Frau, kannst du es vielleicht verstehen.» «Was verstehen? Was hat er für mich hinterlassen?»
«Er hinterließ dir genug Gold für deine Erziehung und für eine ansehnliche Mitgift. Und dann noch ... das hier.» Die knotige alte Hand hielt ihr das Pergamentbüchlein hin. «Dein Vater war ein Genie, doch er war nicht frei von Sünde. Lies das - vor allem die letzten Seiten - und bilde dir dein eigenes Urteil. Ich lasse dich jetzt für eine Weile allein.»
Padre Tommaso begab sich in die angrenzende Kammer und versank andächtig im Gebet. Leonora brauchte so lange, dass er schon fürchtete, die Hochzeitsgesellschaft unten in der Kirche würde ungeduldig werden. War es ein Fehler gewesen, ihr das Buch zu zeigen? Endlich öffnete sich die Tür, und Leonora trat heraus. In ihren Augen glitzerten Tränen wie Glastropfen.
«Mein Kind!» Der Pater war bestürzt. «Ich hätte es dir nicht geben sollen.»
Leonora warf sich ihm an die Brust und umschlang seinen gebrechlichen Leib. «O doch, Vater, doch! Ihr habt das Richtige
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