Die Glasprobe und andere zerbrechliche Geschichten
auf.
„Es lebe Seine Vergeßlichkeit, der König!“ meldete sich ein Sprechchor zu Wort.
„Es lebe außerdem die Königin!“
Der Landesherr begrüßte seine zahlreich versammelten Anhänger mit einer eingeübten Handbewegung und half seiner molligen Frau aus dem Wagen. Dabei grübelte er angestrengt, aus welchem Anlaß er wohl hier sei; es war ihm längst wieder entfallen.
Fotoapparate klickten, Schmalfilmkameras surrten, irgendwo hörte man einen Reporter in sein Mikrofon hauchen: „Soeben betritt Majestät die Stufen der Ausstellungshalle. Welch bewegender Augenblick! Wie man aus vortrefflich unterrichteten Kreisen hörte, haben sich der gnädige Herr König und die gnädige Frau Königin wochenlang auf diesen Tag gefreut...“ Der Reporter war emsig bei der Sache. Es handelte sich um die erste selbständige Reportage seines jungen Lebens, da wollte er sowohl seinen Zuhörern als auch seiner Braut und ganz besonders seinem Chefredakteur beweisen, was in ihm steckt.
Unterdessen nahm der Herrscher einen Begrüßungstrunk aus der heftig zitternden Hand des Stadtmuseumsdirektors entgegen und schielte unauffällig auf die Kirchturmuhr.
Jetzt wird das Spiel angepfiffen, dachte er, als man ihm eine blankgeputzte Schneiderschere in die Hand drückte und bat, das blaßblaue Seidenband vor der Eingangstür zu zerschneiden, um so, sichtbar für alle Welt, den Weg zu den Bildern freizugeben. Wenn ich mich spute, ging es dem König durch den Kopf, sehe ich eventuell noch etwas von der zweiten Halbzeit. Und er sprach: „Möge mein königlicher Durchschnitt für alle übrigen Besucher wegweisend sein!“
Es ertönte der vorbereitete Beifall.
Umschwänzelt vom Stadtmuseumsdirektor, schritt der Herrscher durch die Säle. Im raschen Fortschreiten ließ er sich dieses und jenes Gemälde erläutern und drehte, wenn eine Erklärung ausführlicher ausfiel, ungeduldig an seinen Mantelknöpfen. Ein einziges Mal überraschte er seine Begleiter, und zwar mit der Bemerkung: „Wo sind wir hier eigentlich? Und wieso hängen überall so viele Bilder?“
Mit etwas Abstand folgte die Königin, sorgsam darauf bedacht, den Anschluß nicht zu verpassen und dabei doch den Fotografen stets vorteilhaft vor die Kamera zu treten. Mit einem größeren Abstand wiederum lief, einem Kometenschweif gleich, die Schar der Berichterstatter und der weniger prominenten Ehrengäste hinter dem Herrscherpaar her.
„Noch immer berichten wir original vom Ausstellungsrundgang des Königs“, wußte der Reporter, etwas kurzatmig des hohen Tempos der Besichtigung wegen, seinen Zuhörern mitzuteilen, „und Sie, meine lieben Bilderfreunde daheim an den Rundfunkgeräten, Sie dürfen sagen — ,Ich bin dabei!'...“
So nahm der Rundgang seinen Verlauf.
Gleich würde der Herrscher einen letzten Blick auf die Gemälde verschwenden, ein paar Worte ins Gästebuch schreiben, und die Eröffnungsfeierlichkeiten waren beendet.
Plötzlich jedoch gab es in der Karawane der Ehrengäste und Reporter ein unerwartetes Stocken. Die vorderen blieben auf einmal stehen, die hinteren konnten gar nicht so flink reagieren und rannten gegen deren Rücken. Dafür ernteten sie ein paar derbe Püffe und bedankten sich, indem sie kräftig „Aua!“ und „Unverschämtheit!“ riefen.
„Was ist geschehen?“ wollten die aus der letzten Reihe sodann von ihren Vorderleuten wissen. „Ein Unfall?“ „König Hubert ist wohl stehengeblieben“, rätselte der Oberbürgermeister, der sich, einer alten Gewohnheit folgend, in der Mitte des Zuges aufhielt.
Ein Raunen ging durch die Reihen der Anwesenden. „Jawohl, meine verehrten Hörer“, wisperte der Reporter in sein Mikrofon, „der König verweilt vor einem Bild. Er guckt immer und immer wieder hin. Das Bild zeigt..., Moment, meine Damen und Herren, liebe Millionen Bilderfreunde daheim an den Rundfunkgeräten..., ich kann es noch nicht erkennen...“
Tatsächlich hatte Hubert der Vergeßliche prüfend die Augen zusammengekniffen. Er gab dem Stadtmuseumsdirektor ein Zeichen, sich zurückzuziehen, und winkte seiner Gattin, näher zu treten. Mit dem ringgeschmückten Zeigefinger wies der Herrscher auf das Bild und redete lebhaft gestikulierend auf seine Gemahlin ein.
Es war still geworden in den Sälen.
Mancher Berichterstatter wünschte insgeheim, daß seine Ohren augenblicklich um ein paar Zentimeter wachsen möchten, wenigstens auf die Länge, die ein gewöhnlicher Hase zur Verfügung hat.
Die Königin sprach nun zum König,
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