Die Glasprobe und andere zerbrechliche Geschichten
und nicht ein Wort war zu verstehen. Wenig später wurde die Ausdauer der Anwesenden belohnt. Nachdem die Königin geendet hatte, sahen sie, wie der König aufgeregt mit dem Kopf wackelte, erneut auf das Bild starrte und laut und vernehmbar ausführte: „Aber, Liebes, so schau doch hin! Ich kann das beurteilen, alles stimmt bis in den letzten Pinselstrich!“
Auf dem Weg zur Kutsche wurde das Herrscherpaar allein vom Stadtmuseumsdirektor begleitet. Die übrigen Ehrengäste und Berichterstatter drängten sich vor jenem Gemälde, das die Aufmerksamkeit ihres Landesherrn so außergewöhnlich beansprucht hatte. Es zeigte einen krummbeinigen Dackel, der seine Betrachter aus feuchten Augen anblinzelte.
Jeder hing seinen Gedanken nach. Alle lauerten, wer wohl zuerst das Wort nehmen würde. Es war schwer auszumachen, ob sich hinter dem Schweigen schlichte Ehrfurcht vor dem Geschmack des Herrschers verbarg — oder allgemeine Ratlosigkeit.
„Ja, meine verehrten Hörerinnen und Hörer, König Hubert hat sich gründlich umgeschaut, hat begutachtet und geprüft und hat sein Urteil gesprochen“, flötete der Rundfunkreporter hastig in sein Mikrofon. „Ich will Ihrem Besuch gewiß nicht vorgreifen, aber Sie werden unbedingt merken, mit welch sicherem Gespür unser Landesvater seine Gunst verschenkte. Das nämliche Bild trägt den Titel ,Dackel Waldemar'..." Da war die Übertragungszeit zu Ende.
Die Ehrengäste und Berichterstatter zogen sich fachsimpelnd in die „Museumsklause“ zurück; die Gemäldeausstellung wurde für den allgemeinen Besucherverkehr freigegeben.
Dreimal wurde die Ausstellungsfrist verlängert. Als die Statistik nach sechs Monaten auswies, daß jeder Einwohner des Landes, vom Säugling bis zum Großvater, etwa dreizehnmal die Bilder besichtigt haben mußte, schloß sie ihre Pforten.
Indessen warf ein großes Ereignis seine Schatten voraus und nahm die braven Einwohner des Königreiches gefangen. Im Herbst jenes Jahres, das der Oberbürgermeister kraft seines Amtes nachträglich zum „Dackel-Jahr“ erklärt hatte,
sollte König Hubert einen Jubiläumsgeburtstag feiern und in Rente gehen.
Natürlich machte man sich allenorts Gedanken, wie man dem Herrscher angemessene Freuden bereiten konnte. Zur Entwicklung, Erfassung und Koordinierung sämtlicher Aktivitäten wurde ein Festkomitee gegründet, dessen Vorsitz man dem Oberbürgermeister antrug.
„Begeistert bin ich nicht, aber was wäre ein Komitee ohne einen fähigen Mann an der Spitze?“ seufzte der Oberbürgermeister und gab zögernd seine Mittelstellung auf. „Handeln wir also getreu der Regel: Wer vieles bringt, wird seinem Hubert manches bringen!“
Als des Königs Jubiläumsgeburtstag heran war, begannen frühmorgens, Punkt sieben Uhr, alle Glocken des Königreiches hemmungslos zu läuten.
„Gewitter! Molche! Maulwürfe!“ rief der Landesvater, fuhr angstvoll aus seinen seidenen Kopfkissen auf, rückte die Zipfelmütze mit der aufgestickten Krone auf seinem Haupt zurecht und tastete nach seiner Frau. „Heiliger Bimbam! Was soll der Krawall?“
„Du hast Geburtstag, Liebling“, säuselte sie ihm ins Ohr, „herzlichen Glückwunsch!“ Sprach’s, reckte sich behaglich und drehte sich auf die andere Seite.
„Geburtstag? Ich?“ Natürlich hatte der König das vergessen.
In diesem Augenblick ging behutsam die Schlafzimmertür auf. Hubert glaubte sich für einen Monat in einem Traum. Hereingerollt wurde auf hölzernem Podest ein zwei Meter hoher und sechs Meter langer Dackel aus Marzipan. Den Naschwerkhund schoben der Hofzuckerschneckenbäcker und drei Mitglieder des Festkomitees, wobei sie keuchend hervorbrachten: „Alleruntertänigste Gratulation, Majestät. Na, ist das eine Überraschung?“
Der König riß den Mund auf wie ein Graskarpfen im Gebirge und nickte schwach. Diese matte Regung genügte den Herren vom Festkomitee als Bestätigung. Glücklich strahlend lüftete der Oberbürgermeister seinen steifen Festtagszylinder und sagte:
„Dieses war der erste Hund!
Doch der zweite folgt geschwund!“
Aber es kam anders.
In seiner Aufregung brachte der Besitzer der Andenkenfabrik den vom Oberbürgermeister sorgsam ausgearbeiteten Gratulationsplan durcheinander. Obwohl er noch längst nicht an der Reihe war, wuchtete er einen gewaltigen Musterkoffer auf jenen Stuhl, auf dessen Lehne der Landesvater vor dem Zubettgehen seine Strümpfe abzulegen pflegte. „Ich erlaube mir, Majestät die Verkaufsschlager des Jahres zu
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