Die Glasprobe und andere zerbrechliche Geschichten
Bürgermeister in Auftrag gegeben, nachzulesen im Sitzungsprotokoll des Rates der Stadt.“ Der bronzene Dichter bemerkte einen streng dreinblickenden Mann, der, die lackschwarzen Stiefel ausgenommen, von Kopf bis Fuß in grünes Uniformtuch gehüllt war.
„Ein Denkmal gehört auf einen Sockel“, sagte der Handwagenbesitzer und sammelte seine zerbeulten und bekleckerten Töpfe und Tiegel ein. „Ein Denkmal zu ebener Erde gefährdet, wie man sieht, die öffentliche Ordnung und Sicherheit.“
„So ist es“, hörte der Denkmaldichter einen stämmigen Mann sagen, der Kisten mit Kohl und Radieschen von einem Pferdewagen lud und sie vor einem Geschäft mit der Aufschrift Südfrüchte abstellte. „Ich habe den Burschen vorhin versehentlich gegrüßt. So führt man ehrliche Händler an der Nase herum.“
Der bronzene Dichter hätte die beiden für ihre Fürsprache herzen und küssen mögen, da fädelte jener Schubkarrenmann, der von Beruf wohl Anstreicher war, umständlich eine Nickelbrille auf die Nase und sprach: „Sagt, was ihr wollt, so kann man der bronzenen Berühmtheit wenigstens ruhig ins Gesicht blicken. Der Mann hat zu Lebzeiten gewiß manchen Kummer gehabt. Er hat mindestens ebenso viele Runzeln wie der Herr Wachtmeister.“
Da hat er nicht ganz unrecht, staunte der bronzene Dichter, bisweilen galt es, etliche Hindernisse zu überschreiten, bevor ich mich gegen Fürsten und heimliche Neider durchsetzen konnte. Mehr als einmal wies mir - dem Kammerherrn, Hofjunker und Oberhauptmann - ein hoher Herr die Tür.
Dennoch hätte er in dieser Situation gern seine Stimme zur Verfügung gehabt. Der Vergleich seiner Stirnfurchen mit den Falten eines gewöhnlichen Gendarmen wollte ihm gar nicht gefallen.
Aber dem Polizisten gefiel er wohl auch nicht. Er sah den bronzenen Dichter argwöhnisch an und sagte barsch: „Wenn der Mann auf dem Pflaster steht, dann wird das schon seine Richtigkeit haben. Laßt uns stolz sein auf dieses schöne Denkmal. Wer ist der Mann überhaupt?“
„Ja, wer ist er?“ fragte der Handwagenbesitzer.
„Wer?“ fragte der Schubkarrenmann.
Der erste der streitenden Männer behauptete: „Ein Sportler!“, der Polizist: „Irgend so ein Höhlenforscher!“, und der Südfrüchtehändler glaubte gar Ähnlichkeiten mit dem Bürgermeister zu entdecken.
Der bronzene Dichter wußte in diesem Augenblick wirklich nicht, worüber er sich mehr grämen sollte, über das unerfreuliche Gerede oder über den dreisten Sperling, der sich soeben auf seinem Scheitel niedergelassen hatte.
„Ach was, das ist ein Dichter“, hörte er da einen Schuljungen sagen, der mit seinem Ranzen über den Markt spazierte und der, obwohl der Unterricht bereits angefangen haben mußte, nicht die geringsten Zeichen von Eile erkennen ließ. „Ich kann solche Leute nicht leiden. Wir müssen immer ihre ellenlangen Gedichte auswendig aufsagen.“
Welch garstig Wort! Warum muß ich mir diese Ungezogenheiten anhören? fuhr es dem bronzenen Dichter durch den Kopf. Warum darf ich nicht in luftiger Höhe weilen, wo mich dieses erbärmliche Erdengeschwätz nicht erreicht? Und er nahm sich vor, seinem Bildhauer beim Wiedersehen gehörig die Meinung zu sagen.
„Man müßte sich demnächst einmal mit dem Herrn Dichter bekannt machen“, murmelte der Schubkarrenbesitzer vor sich hin und steckte seine Nickelbrille zurück in das abgegriffene Lederetui. „Wer auf einem Sockel thront, den kann man getrost untersehen. Der hier aber steht uns nahe. Keiner kommt an ihm vorbei.“
Der Polizist dachte möglicherweise ähnlich, er drehte mit amtlicher Eleganz einen Kringel in sein Notizheft. Anschließend entwirrte er die verhakelten Gefährte, die beiden Männer wurden verwarnt und mußten eine kleine Strafe zahlen, der Südfrüchtehändler fing an, die Radieschen und Kohlköpfe mit Preisschildern zu versehen, der Knabe schlenderte gemächlich in die Schule, und der Dichter bekam unverhofft eine Ruhepause. Lebendig wurde es um ihn erst wieder, als das Wirtshaus und ein flaches Gebäude mit der Aufschrift Kaufhalle öffneten.
„Sind Sie nicht der nette Dichter, der all die Regeln aufschrieb, nach denen ich seit meiner frühesten Jugend lebe?“ flüsterte ihm plötzlich ein korpulentes Großmütterchen ins Ohr. „Schön, daß Sie einmal mitten unter uns weilen. Aber pfui, mit ungeputzten Schuhen!“
Da haben wir es! Der Denkmaldichter bekam vor Scham glühendheiße Bronzeohren.
„Jeder Mensch gilt in dieser Welt nur so viel, als
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